Die Nichterfüllung der Schutzfunktion des “Elternteils” Mensch führt zu einem traumatisierenden Erlebnis des Welpen?
Ich endete im letzten Beitrag damit, dass, wenn der Hundebesitzer seine Rolle als Leitfigur – warum auch immer – nicht wahrnimmt, er seinen Hund möglicherweise in eine Konfliktsituation bringt, auf die dieser dann in einer unerwünschten Art reagiert.
Eine der ersten Schlüsselerlebnisse, die ein junger Welpe in seinem irdischen Dasein hat, ist die Begegnung mit seinesgleichen. Nicht die Begegnung innerhalb seines Wurfes unter Aufsicht und dem Schutz der lieben Mutter ist damit gemeint. Vielmehr während der ersten Spaziergänge mit dem „neuen Herrchen“, der ihn zuvor beim Züchter erworben hat und nun zum ersten Mal während eines gemeinsamen Spazierganges die „neue weite Welt“ inspiziert.
Befehlsempfänger und Schutzbedürftiger!
Die Domestikation des Hundes hat ihn – wie ich es bereits beschrieben habe – zu einem Befehlsempfänger werden lassen. Dies hat ihn einerseits zu einem schier unglaublich treuen Begleiter des Menschen gemacht; andererseits aber auch zu einem sehr schutzbedürftigen Wesen, welches insbesondere in den ersten Lebensmonaten zwingend die Unterstützung und Hilfe seines Herrchens benötigt.
Wer dies nicht glaubt, sollte einmal eine Meute Hunde beobachten, was diese mit einem kleinen und ungeschützten Neuankömmling veranstalten, der nicht die geringste Chance hat, sich gegen diese unvorstellbaren „Erniedrigungen“ zur Wehr zu setzen. Und schauen sie dann einmal in die verzweifelt um Hilfe suchenden Augen dieses kleinen Opfers.
Spreche ich in solchen Situationen die Besitzer an, ob sie ihrem kleinen Schützling nicht helfen wollen, kommt in der Regel die Antwort: „Die klären das doch untereinander!“
Das bedeutet für mich, diese Hundebesitzer haben das Problem überhaupt nicht erkannt. Man stelle sich die gleiche Szene mit kleinen Kindern auf einem Spielplatz vor. Mir kommen große Zweifel, ob der „kluge Papa“ dann auch sagen würde: „Die klären doch nur die Rangfolge in ihrem Rudel!“ Ich bin fest überzeugt, dass er hier energisch eingreifen würde, um seinem kleinen Sprössling zu Hilfe zu kommen und so vor einem traumatisierenden Erlebnis zu schützen.
Angsthase oder Aggressor?
Die Folgen solchen Verhaltens des Nichtwahrnehmens der Schutzfunktion durch das Herrchen zeigen sich später im erwachsenen Hundealter in Verhaltensweisen, die Herrchen sich meisten nicht erklären kann. Es gibt dabei zwei extreme Ausprägungen „unerwünschten“ Verhaltens. Entweder der Hund ist der typische „Angsthase“, der schon aus vermeintlich nichtigen Gründen Angstreaktionen zeigt, oder er zeigt aggressives Verhalten. Für Letzteres wird nur sehr selten sein Schlüsselerlebnis als erniedrigter Welpe erkannt, denn man schließt fälschlicherweise relativ schnell Angst als Ursache von Aggressionen aus. Wurde er aber als Welpe von einer Horde seiner Kollegen „niedergemacht“ und hat instinktiv unterwerfende Reaktionen gezeigt, indem er sich auf den Rücken legte, ohne dass dies zur Beendigung des Unterwerfens geführt hat, prägt sich bei diesem jungen Welpen u. U. die Erkenntnis ein, dass es keinen Sinn macht, sich zu unterwerfen. Angriff erscheint ihm von jetzt an als die bessere Strategie.
Und so gibt es im jungen Leben eines Welpen eine Vielzahl von ersten Erlebnissen, bei denen er zwingend die Hilfe und Unterstützung seines Herrchens benötigt, um schadenfrei durch diese erste Periode seines aufregenden Lebens zu kommen. Während dieser Zeit werden wichtige Grundlagen gelegt, die das spätere Verhalten des Tieres wesentlich prägen. Eine spätere Korrektur ist aufwendig.
Eine fachliche Unterstützung durch den Hundetrainer ist in dieser Zeit auch dann besonders sinnvoll, wenn der kleine Welpe als Geschenk für den kleinen Nachwuchs gedacht ist.
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