oder
belegt auch sie den Anthropomorphismus?
In meinem letzten Beitrag zum Thema artgerechte Hundehaltung habe ich angekündigt, mich einmal zu fragwürdigen oder zumindest missverständlichen Forderungen in der TierSchuHuV zu äußern. Denn selbst solche offiziellen Dokumente – oder besser gesagt, deren Verfasser – scheinen offensichtlich auch nicht vom Anthropomorphismus verschont zu bleiben.
Diese kognitive Fehlleistung – und nichts anderes ist die Vermenschlichung anderer Wesen oder Dinge – ist, wie ich es bereits in einem anderen Beitrag beschrieben habe, zunächst einmal nichts grundsätzlich Schlimmes. Im Gegenteil, sie hilft uns oftmals, uns schwer zugängliche fremde “Welten”, über die wir keinerlei Wissen haben, überhaupt zu erschließen oder mit ihnen zu interagieren, anstatt ehrfurchtsvoll in einer Handlungsunfähigkeit zu erstarren. Allerdings mit der Gefahr der Fehlinterpretation, deren Ableger auch der Anthropomorphismus ist.
Ich bin durch Äußerungen vieler meiner KundInnen aufmerksam geworden und der Frage nachgegangen, woher wohl so viele falsche Vorstellungen über die Bedürfniswelt des besten Freundes des Menschen herrühren.
Sehr häufig höre ich nämlich von HundehalterInnen, nachdem ich sie mit der Frage konfrontiert habe, warum sie sich nicht nur für einen einzelnen Hund, sondern für die Haltung mehrerer Hunde entschieden hätten, dass es doch Allgemeinwissen sei, dass sich Hunde wohler fühlen würden, wenn sie unter ihresgleichen seien, denn sie wären schließlich Rudeltiere.
Diesem Irrtum konnten sich offensichtlich auch die Verfasser der TierSchuHuV nicht entziehen, als sie beispielsweise unter §2 folgenden Passus formulierten:
„(2) Wer mehrere Hunde auf demselben Grundstück hält, hat sie grundsätzlich in der Gruppe zu halten, sofern andere Rechtsvorschriften dem nicht entgegenstehen.“
Worin offensichtlich die Intension solch einer Forderung besteht, wird in dem darauffolgenden Absatz deutlich, der da lautet:
„(3) Einem einzeln gehaltenen Hund ist täglich mehrmals die Möglichkeit zum länger dauernden Umgang mit Betreuungspersonen zu gewähren, um das Gemeinschaftsbedürfnis des Hundes zu befriedigen.“
Letzteres ist zwar korrekt und sinnvoll – vorausgesetzt man interpretiert den Sinn ausschließlich bezogen auf die Beziehung zwischen Betreuungsperson und Hund – aber mit einer irreführenden Interpretationsmöglichkeit behaftet. Denn man könnte jetzt auch, wenn man beide Passagen in einem Kontext sieht, beide derart interpretieren, dass die Haltung mehrerer Hunde in der Gruppe dem ureigenen Bedürfnis des Hundes nach Gemeinschaft mit seinesgleichen entsprechen würde.
Aber ist das tatsächlich so?
Die Antwort lautet: „Nein“
Etwas spaßig ausgedrückt:
Wenn wir unsere Hunde fragen und sie uns mit einem „Handzeichen“ antworten könnten, ob sie denn lieber mit uns allein oder in Gemeinschaft mit mehreren ihrer Artgenossen mit uns zusammenleben möchten, würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausnahmslos alle und nahezu enthusiastisch ihre Pfote beim ersten Teil der Frage heben.
Begründet ist das Bedürfnis nach alleinigem Zusammenleben mit einem Menschen in der Domestikation vom Wolf zum Haushund. Denn in ihrem Ergebnis ist dem Hund das Bedürfnis nach Gemeinschaft im Rudel quasi hinweggezüchtet worden. Letzteres hatte seine Bedeutung nämlich nur im Überlebenskampf in freier Wildbahn, denn es stellte den entscheidenden Vorteil bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Stoffwechsel und Sicherheit dar. Diesen Überlebensvorteil ersetzt jetzt aber das Zusammenleben mit einem Menschen. Andere Hunde stellen seitdem bei der Bedürfnisbefriedigung nicht nur keine Hilfe mehr dar, sondern sind jetzt potentiell sogar Rivalen, Konkurrenten oder u.U. sogar Todfeinde. Eine Ausnahme bilden nur die eigenen Familienmitglieder, also der eigene Nachwuchs oder Mama und Papa. Oder der Wunsch nach Kontakt zu ihnen wirkt nur noch temporär, wenn das Bedürfnis nach Weitergabe der eigenen Gene aufkeimt.
Zugegeben, es ist ein allgemein verbreiteter und sich hartnäckig haltender Irrtum, zu glauben, Hunde fühlten sich in der Gemeinschaft mit ihresgleichen wohler, als allein mit uns zu sein. Ein Beweis dafür sind all die organisierten Hundetreffen, Hundewanderungen, gegründeten Hundevereine oder sonstige Zusammenführungen vieler Hunde auf einen Haufen. Begründet ist dieses Streben im Bedürfnis des Menschen nach Gemeinschaft, denn aus einer solchen bezieht und bezog er seit jeher einen Überlebensvorteil. Dummerweise dichtet der Mensch dieses Bedürfnis auch dem Hund an. Das Ganze nennt sich Anthropomorphismus.
Aber es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen, die das Gegenteil belegen. Das Wohlbefinden kann bekanntlich relativ zuverlässig mittels der Indikatoren Oxytocin oder Dopamin „gemessen“ werden – wie ich es auch in dem Buch „Problemhunde und ihre Therapie“ beschrieben habe, die im Urin oder Blut des Hundes nachweisbar sind. Diese Hormone werden dann ausgeschüttet, wenn Glücksgefühle das Tier überkommen. Selbiges passiert aber nachweisbar nicht, wenn sie ihresgleichen erblicken, selbst wenn diese ihnen noch so vertraut sind. Darüber sollte auch nicht das vermeintlich freudvolle „Begrüßungsritual“ hinwegtäuschen, wenn zwei ansonsten zusammenlebende Hunde zeitweilig getrennt waren und sich jetzt wiederbegegnen. Das wilde „Begrüßungsritual“ ist nichts anderes als das gegenseitige Abchecken der sich möglicherweise in der Zwischenzeit veränderten Absichten des anderen. Sobald dies geklärt ist und offensichtlich keine Gefahr vom anderen auszugehen scheint, gehen beide sich wieder aus dem Weg und scheinen kaum noch Interesse füreinander zu hegen.
Die Wohlfühlhormone sind aber dann nachweisbar, wenn der Hund sein Frauchen oder Herrchen erblickt.
Insofern ist der Absatz 2 des §2 der TierSchuHuV nicht so zu interpretieren, dass Hunde möglichst in der Gruppe zu halten sind, um ihrem Bedürfnis nach Wohlbefinden gerecht zu werden oder gar der Forderung nach einer artgerechten Haltung nachzukommen. Im Gegenteil, eine Einzelhaltung sollte einer Gruppenhaltung immer vorgezogen werden, denn sie entspricht dem Bedürfnis des Hundes nach intensivem Kontakt zu einer menschlichen Bezugsperson. Andere Hunde, mit denen er diesen Kontakt teilen muss, sind dabei nur störend.
Allerdings kann man der TierSchuHuV in diesem Kontext auch etwas Positives hineininterpretieren. Wenn man nämlich den Absatz 2 weiterliest und die darin formulierte Forderung im besten Sinne auslegt:
„Nicht aneinander gewöhnte Hunde dürfen nur unter Aufsicht zusammengeführt werden.“
Diese Forderung sollte man nämlich dahingehend verstehen, dass, wenn Hunde schon gemeinsam gehalten oder sonst wie zusammengeführt werden, weil man es entweder partout nicht lassen kann oder objektive Gründe dafürsprechen, wie beispielsweise in einem Tierheim oder aus sportlichem Interesse, sie zunächst einmal und potentiell einander nicht freundschaftlich gesonnen sind, sondern sich grundsätzlich argwöhnisch eingestellt gegenüberstehen. Denn, ich wiederhole mich gerne, sie sind zuallererst Wettbewerber und keine sich innig liebenden Freunde. Und das heißt, wenn man Hunde unbedingt in einer Gruppe halten möchte, oder muss, und diese stammen nicht aus einem Wurf, muss Herrchen oder Frauchen zwingend, nicht nur von der ersten Minute an, sondern auch weiterhin, „der Chef im Ring“ sein und „für Ordnung sorgen“. Und diese „Ordnung“ besteht zuallererst darin, sehr sensibel und aufmerksam für ausnahmslos alle „Mitglieder“ dieser Gruppe der zuverlässige Garant ihrer physischen und psychischen Unversehrtheit zu sein. Denn die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Sicherheit steht in der Liste der Grundbedürfnisse an zweiter Stelle und ist damit wiederum der Garant für das Wohlbefinden eines Hundes. Denn die Gefahr des Mobbings – als harmloseste Form des Konkurrenzkampfes in einer Gruppe von Hunden – ist allgegenwärtig und wird vom Laien nicht nur unterschätzt, sondern oftmals überhaupt nicht wahrgenommen oder beispielsweise als belangloses oder sogar freudbetontes Spielen fehlinterpretiert.
Nun möge man mir bitte nicht die aberwitzige Empfehlung unterstellen, ich würde allen “Mehr-HundehalterInnen” raten, sich von ihren “Zweithunden” zu trennen. Wenn die Hunde sich unter Aufsicht, wie zuvor beschrieben, kennengelernt haben und alle wissen, dass auch der “Schwächste” unter dem Schutz von Frauchen oder Herrchen steht, ist die Welt ja in Ordnung. Meine Intension zum Verfassen dieses Beitrages war nur, darauf hinzuweisen, dass die Anwesenheit anderer Hunde, den Hund nicht glücklicher macht.
Deshalb seien Sie lieb zu Ihrem besten Freund und verbringen nicht nur soviel Zeit wie irgend möglich mit ihm allein, sondern meiden Sie Hundetreffen aller Art! Damit gewähren Sie ihm die artgerechteste aller Hundehaltungen.
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