oder
Was hat das mit einem beleidigten Linguisten oder Pyrrhus, dem König der Molosser, zu tun?
Vor kurzem bat mich ein Kunde darum, einen Fachartikel zum Hundetraining zu kommentieren, den er auf einem Internetportal entdeckt hatte.
Der Titel: „Click for Blick“.
Mein erbetener Kommentar sollte sich natürlich auf den Inhalt des Beitrages beziehen und wurde vom Kunden sicherlich auch erst erwartet, nachdem ich ihn gelesen habe. Aber reflexartig prustete ich heraus: „Was für ein hanebüchener Unfug!“
Seine Verblüffung ob meiner prompten Reaktion war nicht zu verkennen: „Nanu, kennen Sie den Artikel etwa?“
Natürlich kannte ich den Artikel noch nicht, aber meine prompte Reaktion bezog sich auch nicht auf dessen Inhalt, sondern auf das wieder einmal mein linguistisch-ästhetisches Empfinden quälende „Denglisch“. Denn wenn schon, denn schon: Entweder „Click for look“ (wenn es schon kurz sein soll) oder besser „click to take a look“ oder noch besser „Klick für einen Blick“. Mich nervt einfach dieses wichtigtuerische Verenglischen unserer eigentlich schönen Sprache.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich habe nichts gegen korrekt verwendete Anglizismen, die sprachhistorisch legitim den Weg ins Deutsche gefunden haben und es sogar bereichern wie Computer, Interview oder Trainer. Aber was soll dieses Kauderwelsch. Meistens nämlich angewendet von Leuten, die gar kein Englisch sprechen geschweige denn beherrschen, aber meinen, dadurch lässig und „cool“ zu wirken.
Es gibt ein treffliches Buch von Adam Fletcher und Paul Hawkins, in dem sie Redewendungen und alltäglich gebräuchliche Ausdrücke wortwörtlich und naiv aus dem Deutschen ins Englische übersetzt haben; halt so wie es der Möchtegern-ausländisch-Sprechende oftmals tut. Und dann kommt es halt vor, dass so manch einer „stupid out of the laundry“ schaut oder denkt, wenn er nichts versteht, dass „he only understand train station.“
Eine Fremdsprache nicht zu beherrschen ist zwar schade aber nur blamabel, wenn man vorgibt als ob, wie weiland Lothar Matthäus. Nur man sollte dann zu seiner „Lücke“ stehen und nicht versuchen, sich mit solch einem Kauderwelsch wichtig zu tun. Denn ansonsten kann es passieren, dass man bei der korrekten Reaktion des Gesprächspartners meint: „It’s all double Dutch to me“.
Aber kommen wir zum erbetenen Kommentar:
Ich habe aufgrund der Bitte des Kunden nicht nur den von ihm erwähnten Artikel im Netz gefunden, sondern sogar mehrere, die sich dieses Themas widmen. Und um meine Kernaussage gleich vorweg zu nehmen:
Alle Artikel haben gemein, dass sie vorgeben, ein offensichtliches Erziehungsproblem des Hundes mit dem ungeeigneten Mittel der Ausbildung, besser gesagt, mit einer Methode der Ausbildung, lösen zu können. Und ich kann mich immer nur wiederholen: Das ist entweder nicht oder nur scheinbar möglich.
Warum?:
Um meine Antwort wirklich verstehen zu können, ist es notwendig, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass das Training eines Hundes aus zwei „Säulen“ besteht oder bestehen kann:
Einerseits aus seiner Ausbildung und andererseits aus seiner Erziehung. Vergleichbar mit dem, was Eltern und Gesellschaft einem Kind angedeihen lassen sollten. Auch das Kind ist nicht zwangsläufig erzogen, wenn es eine gute Ausbildung genossen haben sollte oder umgekehrt. Ausführlicher habe ich dies in meinem Buch “Problemhunde und ihre Therapie” beschrieben.
Jedoch ist nicht jeder Hund auch zwangsläufig auszubilden und zu erziehen. Die jeweilige Notwendigkeit ergibt sich aus seiner Rolle, die er im Leben des Menschen spielen soll, und aus der Aufgabe, die ihm eventuell übertragen wird.
Ich gebe zu, in manchen Situationen ist es schwer, zwischen beiden „Säulen“ und deren Notwendigkeit zu unterscheiden. Will meinen, ob es sich tatsächlich um ein Ausbildungsproblem oder eventuell um ein Erziehungsproblem handelt und die Grenze ist manchmal fließend. Aber bei dem hier angesprochenen Problem und bei den in den Artikeln beschriebenen Beispielen ist der Unterschied und die Zuordnung eineindeutig, wie es in der mathematischen Beweisführung so schön heißt, wenn es keinen Zweifel gibt. Denn, ich zitiere:
„Leinenrambo-Training: Click für Blick“ (nebenbei: in diesem Beitrag mal nicht ‚Click for Blick‘ wie in den anderen, aber auch nicht ‚Klick für Blick‘) … Wenn du einen Hund hast, der sich bei Hundebegegnungen schwer tut, dann ist dieser Film (es gibt dazu auf der beworbenen Internetseite einen Film, der das Training demonstriert – der Autor) genau richtig! ‚Click für Blick‘ ist eine sanfte und nette Methode, mit der dein Hund lernt, andere Hunde nicht mehr so gruselig zu finden. Sie ist der Einstieg in das Leinenrambo-Training. Ziel ist zunächst, dass dein Hund lernt, den fremden Hund freundlich anzuschauen. In einem weiteren Schritt bringst du deinem Hund dann bei, den Blickkontakt vom fremden Hund selbständig ab- und sich dir zuzuwenden.“
Abgesehen davon, dass in diesem kurzen Essay mehrere fragwürdige und teilweise schon lächerlich-naiv wirkende Aussagen enthalten sind wie „gruselig finden“ oder „freundlich anzuschauen“, denn der Hund findet sehr wahrscheinlich keinen anderen Hund „gruselig“ oder schaut ihn wahrscheinlich auch nicht „freundlich“ an, sondern sieht in einem anderen Hund grundsätzlich einen Konkurrenten, Wettbewerber oder sogar Feind, zumindest bis er dessen Absichten abgeklärt hat und dafür die Verantwortung trägt. Oder ich möchte denjenigen kennenlernen, der meint, einschätzen zu können, ob ein Hund freundlich schaut.
Ebenso falsch ist es, davon zu sprechen, dass im Ergebnis des Trainings der Blickkontakt des Hundes „selbstständig“ vom anderen Hund ab- und dem Hundehalter zugewendet werde. Mit „Selbstständig“ wird suggeriert, der trainierte Hund würde aus intrinsischen Motiven (aus innerer „Überzeugung“), nämlich aus Desinteresse, den Blick vom anderen Hund abwenden. Aber das ist nicht der Fall, denn hier wird eindeutig von einer konditionierten Reaktion gesprochen, also von einer extrinsisch motivierten (von einem äußeren Reiz ausgehenden) Handlung.
Aber kommen wir zum eigentlichen Thema:
In einem der Beiträge wird die Trainingsmethode mit folgenden Worten beschrieben: „Ein Hund, der an der Leine mit großem Getöse auf andere Hunde reagiert, wird angeclickt für jedes Ansehen des “Feindes”.
Ich denke, es bedarf keines großen Fachwissens, um daraus ableiten zu können, dass es sich bei dem unerwünschten Verhalten des Hundes um kein Ausbildungsproblem, sondern um ein Erziehungsproblem handelt. Denn die Ausbildung des Hundes würde das Antrainieren von Fähigkeiten und Fertigkeiten (extrinsisch motiviertes Handeln) bedeuten, also das Konditionieren. Aber hier geht es um Verhaltensregeln. Diese sind aber das Ergebnis einer Erziehung (intrinsisch motiviertes Verhalten).
Und wenn der Hund in einem anderen Hund einen „Feind“ sieht, wie es heißt, ist dies immer in seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit oder für die von Herrchen und Frauchen oder für irgendeine Ressource begründet. Will ich ihn davon abbringen, muss ich ihn von dieser Verantwortung entbinden. Das geht aber nur über den Weg der Erziehung bzw. kann sogar als identisch angesehen werden. Denn die Erziehung des Hundes ist nämlich nichts anderes als die Übertragung oder Entbindung von einer Verantwortung.
Bei der beschriebenen Methode „Klick für Blick“ handelt es sich aber unzweifelhaft um eine Ausbildungsmethode, sprich Konditionierung, die mittels einer mit dem Klicken kombinierten Belohnung praktiziert werden soll. Dabei wird der typische Pawlowsche Effekt erzielt, denn es heißt (ich zitiere):
„… Die Belohnung nach dem Click sollte für den Hund passen und entsprechend der Situation sehr hochwertig sein. Sehr futtermotivierte Hunde können mit einem sehr beliebten Futter belohnt werden. Besonders bietet sich hier eine Futtertube an, aus der der Hund das Futter herausschleckt. Das verlängert die Belohnungssequenz und beruhigt manche Hunde ein wenig.“
Ich will gar nicht in Frage stellen, dass diese Trainingsmethode sogar Erfolge zeitigt. Aber echte Erfolge sind sie nur im Sinne der Ausbildung. Im Sinne der Erziehung, wie sie notwendig wäre, um den Hund von seinem in diesem Kontext beschriebenen Verhalten abzubringen, sind sie allerdings nur scheinbare Erfolge, oder um es etwas zugespitzt auszudrücken: Sie sind nur Pyrrhussiege, denn sie sind keine wirklichen und unter Umständen zu teuer erkaufte.
Denn wie hat König Pyrrhus I. von Epirus nach einer seiner gewonnenen Schlachten gesagt?: „Wenn wir die Römer in einer weiteren Schlacht besiegen, werden wir gänzlich verloren sein!“, was oftmals in aphoristischer Form verkürzt wird mit „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“
Was will ich damit sagen und warum trifft das auch auf den scheinbaren Erfolg des Clickertrainings zu und ich deshalb nur davor warnen kann, insbesondere dies bei ausgeprägt aggressiven „Listenhunden“ anzuwenden?:
Da das Ergebnis der erfolgreichen Konditionierung des Hundes nichts anderes ist als das erfolgreiche Ablenken von seiner eigentlich intrinsisch motivierten Absicht und deren Überlagerung durch einen für ihn momentan höherwertigeren Reiz, bleibt seine intrinsische Motivation, die Absichten des Rivalen oder „Feindes“ aufklären zu wollen oder zu müssen, latent ja weiterhin vorhanden. Denn die eigentliche Ursache dafür, also die Verantwortung für Sicherheit oder Ressource, ist ihm durch diese Konditionierung ja nicht genommen.
Und das bedeutet, sollte einmal die Belohnung im Bedarfsfall zu geringwertig sein oder sogar ausbleiben, könnte es passieren, dass sich die intrinsisch motivierte Handlung wieder Bahn bricht und unter Umständen die Katastrophe auslöst. Mit solchen Fällen werde ich ständig konfrontiert. Wenn durch Konditionierung eine latent noch vorhandene intrinsische Motivation überlagert wird und diese scheinbar ausgelöscht ist, lässt sich leider oftmals nicht nur der Laie täuschen und verkennt die potentielle Gefahr. Hunde, die scheinbar harmlos geworden sind, rasten plötzlich und angeblich völlig unvorhergesehen aus. Wenn man dem aber auf den Grund geht, stellt sich meistens heraus, dass es sich um genau das hier beschriebene Prozedere handelt. Nämlich ein scheinbar erzielter Erziehungserfolg, der durch einen Konditionierungserfolg lediglich vorgetäuscht wird.
Ich habe auch Verständnis dafür, dass der Laie in Zeiten der postulierten Tierliebe und des gewaltfreien Umgangs mit Tieren für die leicht durchschaubaren Botschaften, die durch die Vertreter solcher für die Erziehung nicht nur fragwürdiger, sondern ungeeigneter Trainingsmethoden verwendet werden, empfänglich ist. Nicht ohne Absicht werden Formulierungen wie die folgenden verwendet (ich zitiere): “Der Click löst nachgewiesenermaßen einen Ausstoß sogenannter Glückshormone im Körper aus. Vereinfacht gesagt hebt das die Stimmung und kann Erregung mindern.”
Aber egal wie ich es auch bezeichne, ob “Click to Calm”, “Zeigen und Benennen”, “Das Arbeiten mit Markersignalen” oder “Ankereffekten” – die Fantasie der Wortschöpfungen und Formulierungskünste scheinen unerschöpflich zu sein – es sind und bleiben schlichte Konditionierungen. Und mittels Konditionierungen kann man nun einmal keine Erziehung praktizieren.
Wenn die Vertreter dieser durchaus effektiven (jedoch nicht unbedingt effizienten, denn durch eine Erziehung wären auch die durch diese Methoden erreichten Effekte u.U. effizienter zu erreichen, quasi als Nebeneffekt) Trainingsmethoden nicht behaupten würden, Erziehungsziele damit zu erreichen, sondern dazu stehen würden, dass es sich ausschließlich um Ausbildungsziele handelt, wäre die Welt ja völlig in Ordnung und es würde meine Kritik auch überhaupt nicht auf den Plan rufen. Aber wenn, wie von ihnen behauptet, der “Leinenrambo” von seinem unerwünschten Verhalten “befreit” wird, geben sie vor – eventuell ohne sich dessen bewusst zu sein – eine Erziehung des Hundes zu praktizieren. Und das ist nun einmal aus Sicht der Pädagogik und Erziehungswissenschaft nicht möglich.
Ich kann deshalb nur dazu raten, wenn ein Hund zu solch einem unerwünschten Verhalten neigt oder sich sonst wie aggressiv verhält, und das insbesondere gegenüber Kindern, oder bei sogenannten gefährlichen Hunden mit einem hohen potentiellen Aggressionspotential, solch einen Unsinn sein und ihm stattdessen eine vernünftige Erziehung angedeihen zu lassen. Und das bedeutet, ihn von der Verantwortung für seine eigene oder die Sicherheit von Frauchen oder Herrchen oder einer Ressource zu entbinden.
Und nebenbei bemerkt: Eine solche Erziehung ist wesentlich schneller zu realisieren als eine Konditionierung, bei der man gewöhnlich eine hohe Repetitionsrate benötigt. Und nicht zu vergessen: Sie ersparen sich außerdem bei ihren Spaziergängen den schweren Rucksack mit den vielen Leckerlies.
105. Der „differenzierte Beschützerinstinkt“ eines Hundes
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