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Die Mär vom Mobbingopfer und seiner wundersamen Heilung!

Immer wieder höre oder lese ich, dass ein „Problemhund“ ein solcher sei, weil er nicht ausgelastet ist und er deshalb beschäftigt werden müsse.

Wenn das so wäre, müsste man ja jedem älteren und gebrechlichen Menschen davon abraten, sich einen Hund anzuschaffen. Und im Umkehrschluss würde es sogar bedeuten, man könne einen verhaltensauffälligen Hund durch Joggen oder Stöckchen-Werfen therapieren.

Aber Entwarnung für alle gehbehinderten Rentner: Das ist Quatsch.

Auch auf dieses Thema  bin ich in meinem Buch eingegangen und habe zwar empfohlen, mit einem Hund, der Stresssymptome zeigt oder sonstige Merkmale einer psychischen Belastung – also verhaltensauffällig ist – erst einmal durch Wald und Flur zu rennen, bevor man ihn versucht zu erziehen. Aber dabei kann das Joggen selbst weder die Therapie sein noch die Beseitigung der Ursachen bewirken, sondern nur das Vorbereiten des therapeutischen Terrains, indem ein psychisch hoch belasteter Hund durch eine physische Auslastung anschließend mental besser „ansprechbar„ erscheint, weil dadurch seine Stresssymptome – zumindest kurzzeitig – reduziert wurden. Die eigentliche Ursachenbeseitigung muss dann aber erst noch erfolgen.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Wie kommt jemand auf solch eine Idee, zu behaupten, ein Hund, der sich nicht so verhält, wie Herrchen oder Frauchen es möchten, sei physisch – oder vielleicht sogar psychisch – unterfordert? Denn etwas anderes kann es ja nicht bedeuten, wenn die Behauptung lautet, dass ein Problemhund einer ausreichenden Belastung entbehrt. Und es stellt sich mir in solchen Fällen noch eine ganz andere Frage: Warum fallen solche Behauptungen immer wieder auf fruchtbaren Boden und werden sogar noch geglaubt?

Ich denke, die Antwort findet sich wieder einmal in der Vermenschlichung der Kreatur Hund; oder anders gesagt, im falschen Anwenden laienhaften humanpsychologischen Pseudowissens auf die hündischen Verhaltenskausalitäten.

Warum? Weil viele Menschen bei solchen Behauptungen sicherlich sofort eine Assoziation entwickeln vom gestressten Banker oder von der gemobbten Managerin, die zu ihrer psychischen Entspannung abends nach dem Heimkommen in die Joggingschuhe schlüpfen und eine Stunde durch die City rennen oder wie Wahnsinnige auf einen Sandsack einprügeln; und anschließend entspannt mit einem Gläschen Wein am Kamin sitzend anscheinend alle Probleme hinter sich gelassen oder zumindest verkleinert zu haben. Und befördert wird diese Vorstellung noch dadurch, dass es uns, durch die Evolution mitgegeben und deshalb von jedem sofort nachvollziehbar ist, sozusagen noch in den Genen steckt, uns bewegen zu wollen, wenn wir Stress oder Angst haben. Es wird ja auch kein Mensch sich ruhig in die Ecke setzen wollen, wenn er ein psychisches Problem mit sich herumträgt. Zumindest rennt er einem unruhigen Tiger gleich grübelnd hin und her.

Aber Vorsicht vor falschen Schlüssen: Jede Psychologiestudentin im ersten Semester wird allen, die an einen solchen falschen Therapieansatz glauben, mit wenigen Worten glaubhaft machen können, dass eine physische Belastung im Falle von Stress zwar Linderung verspricht, aber nichts anderes ist, als das Lindern der Symptome. Denn an den Ursachen der psychischen Belastung oder des Stresses ändert das Joggen gar nichts.

Ansonsten könnte man ja metaphorisch behaupten: Wenn dich jemand mobbt und du deshalb Stresssymptome oder Verhaltensauffälligkeiten zeigst, renne abends einen Marathon durch den Wald; und du wirst sehen, der Bösewicht hört auf zu mobben.

Ich kann mir auch vorstellen, dass die irrige Annahme, ein Hund könne durch seine physische Auslastung therapiert, also von den Ursachen seiner Verhaltensauffälligkeiten befreit werden, auch dadurch befördert wird oder wurde, dass aufmerksame Fernsehkonsumenten einen Cesar Millan mit seiner Hundemeute durch die Gegend rennen sehen; und anschließend die zuvor gewesenen Bestien nach der Heimkehr zahm wie die Lämmer in einem friedlichen Rudel beieinander kuscheln. Aber auch hier sei Vorsicht vor falschen Schlüssen geboten: Nun bin ich zwar kein großer Kenner seiner Fernsehsendungen, weil ich eine gewisse Skepsis zu solchen Fernsehbeiträgen und ihren wahren Absichten pflege und man deshalb von einem Cesar Millan halten mag, was man möchte, aber ich glaube nicht, dass er jemals behauptet hätte, dadurch seine Bestien gezähmt zu haben. Er spricht – glaube ich jedenfalls, irgendwo von ihm einmal gelesen zu haben – stattdessen von einer imaginären Energie, die die gestressten Hunde angestaut hätten und von der er sie durch das Auslasten befreien wolle. Nun sei einmal dahingestellt, dass es so eine imaginäre Energie nicht geben kann, weil ansonsten Albert Einstein sich im Grabe herumdrehen oder Stephen Hawking ihn für diese Entdeckung für einen Nobelpreis vorschlagen würde. Er meint damit sicherlich nichts anderes, als den bereits erwähnten Bewegungsdrang eines gestressten Säugetiers.

Den Grund dafür, dass ein Hund vermeintlich verhaltensauffällig wurde oder dass er als Problemhund gilt, kann durch seine Auslastung oder physische Belastung mitnichten beseitigt werden. Allenfalls kann man dadurch kurzfristig und kurzzeitig seine Stresssymptome lindern und die Anzeichen durch seine physische Auslastung oder Erschöpfung überlagern. Früher oder später tauchen sie aber wieder auf.

Wenn man stattdessen den wahren Grund des hündischen Problemverhaltens suchen und dann beseitigen will, wird man ganz woanders fündig und muss ganz woanders aktiv werden. Und das ist sicherlich auch bei einem Cesar Millan nicht anders. Auch er hat offensichtlich erkannt – vorausgesetzt man kann dem Glauben schenken, was in seinen Fernsehsendungen gezeigt wird – dass die Lösung der Probleme seiner „Bestien“, nicht in ihrer physischen Auslastung zu finden ist, sondern in der durch ihn initiierten Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Und zu nichts anderem sind auch seine regelmäßigen hündischen „Sportausflüge“ geeignet; nämlich der Unterstützung seines eigentlichen Erziehungsansatzes, indem er die Hunde veranlasst, sich in der Struktur eines Rudels seiner Führerschaft unterzuordnen und seinen Anweisungen zu folgen. Allerdings ist dies gepaart mit einer alles entscheidenden Maßgabe: Er und kein anderer dieses Rudels trägt die Verantwortung für die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Tiere und stellt diese sicher. Und dabei steht das Bedürfnis nach Sicherheit an vorderster Stelle. Keiner seiner Hunde muss sich um seine eigene Sicherheit oder die des Rudels kümmern bzw. darf dies auch gar nicht.

Und schon gar nicht sollte eine gute Führungspersönlichkeit, die der Mensch für den Hund nun einmal zwingend sein muss, wenn er ihn von einem Problemverhalten befreien will, zulassen, dass der Hund eine Verantwortung für irgendeine Ressource, wie beispielsweise das Revier, übernimmt. Jegliches Markieren, welches ein untrügliches Indiz für eine solche Absicht wäre, muss durch ihn sofort unterbunden werden. Für die Sicherheit der Hunde und des Rudels sorgt sie, die Leitfigur Mensch, an der sich alle Hunde zuverlässig orientieren können.

Und nur deshalb, weil der Mensch dem Hund sein Bedürfnis nach Sicherheit gewährleistet und dieser sich nicht selbst darum zu kümmern hat, ordnet er sich dem Menschen willentlich und bedingungslos unter und zeigt ein völlig entspanntes Verhalten. Ein Hund, dessen Grundbedürfnis nach Sicherheit sich für ihn als befriedigt darstellt, wird – außer in pathologisch begründeten Fällen – keine Verhaltensauffälligkeiten entwickeln. Und ein solcher Hund wird auch stundenlang völlig entspannt, ohne ein Problemverhalten oder Stresssymptom zu entwickeln, still in der Ecke liegen. Er wird es seinem Herrchen oder Frauchen dann zwar auch nicht übel nehmen, wenn sie mit ihm auf die Wiese gehen und Stöckchen werfen spielen, weil er zu gerne mit ihnen gemeinsam Spaß hat; aber beim Ausbleiben solch einer physischen Belastung beleidigt oder bockig zu sein, wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.