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Die unterschätzte Intelligenz des Hundes

Frage: Gibt es einen „Trainereffekt“?

Antwort: Jein, um mit einem Portemanteau-Wort zu antworten. Ja, es gibt ihn insofern, dass die Trainerpersönlichkeit, wie aber jede andere auch, auf das Verhalten des Hundes Einfluss nimmt, wenn der Trainer die Führung des Hundes übernimmt. Aber Nein, es gibt ihn nicht in dem Sinne, wie er argumentativ oftmals verwendet wird, um zu begründen, dass ein schneller Therapieerfolg eines verhaltensauffälligen Hundes nur ein scheinbarer sei, weil er nur so lange anhält wie der Trainer den Hund führt.

Warum Nein? Weil die Hunde neurobiologisch nicht so unterentwickelt sind wie sie sein müssten, um einem in solcher Weise gemeinten Trainereffekt zu erliegen.

Hin und wieder höre ich mal in unterschiedlichem Zusammenhang die Begrifflichkeit „Trainereffekt“. Mir selbst wird er manchmal vorgehalten, wenn ich behaupte, dass ein vermeintlich verhaltensauffälliger Hund durchaus in einer einzigen Trainingseinheit resozialisiert werden kann. Zugegeben, ich will damit auch ein wenig provozieren und zum Nachdenken oder Diskutieren anregen, aber dem Grundsatz nach stehe ich dazu. Meine „Kritiker“ begründen damit ihre Überzeugung, dass eine Umerziehung des Hundes viel zu komplex und deshalb in so kurzer Zeit unmöglich und der vermeintliche Trainingserfolg eben nur ein scheinbarer sei, weil der Hund sein Verhalten nur aufgrund meiner Trainerpersönlichkeit und deren Wirkung auf ihn kurzzeitig ändere. Insofern wäre die Verhaltensänderung, die zwar anerkannt wird, keine nachhaltige und würde sich, sowie Herrchen oder Frauchen wieder das Kommando übernehmen, quasi in Luft auflösen.

Aber bevor ich dies aus psychologischer und verhaltensbiologischer Sicht ad absurdum führe, macht es Sinn, die Begrifflichkeit Trainereffekt zu definieren, damit wir auch über das Gleiche reden.

Nach meinen Recherchen tauchte der Begriff ursprünglich in der Welt des Fußballs auf. Hier gibt es sogar wissenschaftliche Untersuchungen, die an den Unis Erfurt und Gießen durchgeführt wurden und der Frage nachgingen, ob ein Trainerwechsel auch langfristig einen Erfolg bringe. Das Ergebnis war ernüchternd, denn von über 70 Trainerwechseln, die untersucht wurden, blieben weit über 60 ohne eine entsprechende Auswirkung. Man habe lediglich nachweisen können, dass ein neuer Trainer manchmal motivierend auf die Spieler wirke, wenn sie sich ihm gegenüber profilieren wollten.

Aber ich glaube, dass der Trainereffekt, so wie seine AnhängerInnen ihn in unserem Kontext argumentativ nutzen, anders gemeint ist. Nämlich wie zuvor beschrieben, dass quasi der Hund sich in Gegenwart eines Trainers, wenn dieser seine Führung übernehmen sollte, anders verhält als unter der Führung der BesitzerInnen, und dass dieses Verhalten nach Wieder-Übernahme der Führung durch die BesitzerInnen wieder verschwindet, also nicht von Dauer ist. Und insofern sei das veränderte Verhalten nicht auf die tatsächliche Umerziehung des Hundes zurückzuführen, sondern ausschließlich auf den Persönlichkeitseinfluss des Trainers.

Die gleiche Argumentation höre ich hier und da auch mal von meinen TrainerkollegInnen, die damit ihre Überzeugung begründen, warum sie grundsätzlich nicht selbst beim Hund der KundInnen „Hand anlegen“, sondern im Falle einer notwendigen Demonstration diese an ihren eigenen Hunden praktizieren und dann durch die TeilnehmerInnen mit ihren Hunden nachahmen lassen.

Grundsätzlich habe ich an dieser Praxis auch nichts zu bemängeln. Im Gegenteil, wenn das Trainingsziel dies erlaubt, kann ich diese Praxis durchaus als richtig „unterschreiben“. Aber nicht mit der Begründung, dadurch den „Trainereffekt“ ausschließen zu wollen. Das wäre nicht korrekt. Denn dann müsste man unterstellen, dass dem Hund die kognitiven Voraussetzungen fehlen würden, ein verändertes Verhalten des Menschen nur beim Trainer wahrnehmen zu können und nicht auch bei Herrchen oder Frauchen. Und das widerspräche allen aktuellen Studien zu den intellektuellen Fähigkeiten von Hunden. Auf der einen Seite ist man nahezu verschwenderisch mit der Vergabe von Superlativen, was die hündische Intelligenz betrifft, aber jetzt wird man plötzlich geizig und unterstellt, dass der hündische Intellekt hier Lücken hätte.

Zum besseren Verständnis meines Zweifels an einem solchen Trainereffekt wie ich ihn verneine, muss ich noch einmal auf die Methode des Trainings zur Erziehung eines “Problemhundes” eingehen:

Wenn ein Hund sich auffällig verhält, ist dieses in der Regel – außer in pathologisch begründeten Fällen – in Wirklichkeit ein völlig natürliches Verhalten im Rahmen seines agonistischen Repertoires einschließlich dessen, welches sich aus seiner rassespezifischen Zuchthistorie ergibt. Der konkrete Verhaltensauslöser ist irgendeine ihm durch die BesitzerInnen unbewusst übertragene Verantwortung, der er jetzt mittels dieses Verhaltensrepertoires gerecht werden will. Er verhält sich also tatsächlich gar nicht auffällig, sondern nur scheinbar, und zwar nur aus Sicht von Herrchen oder Frauchen. Sie erkennen nämlich nicht, dass die eigentliche Ursache ihr eigenes falsches Verhalten ist, indem sie dem Hund dadurch signalisiert haben, er hätte jetzt eine Verantwortung. Eine solche Verantwortung könnte sein, für seine eigene oder sogar beider Sicherheit sorgen zu müssen oder die Verantwortung für ein Revier. Ein Indiz dafür, dass ihre Verantwortungsübertragung unbewusst geschehen ist, zeigt sich in ihrem Unverständnis für das hündische Verhalten und sein Fehlinterpretieren als ein auffälliges. Wenn Herrchen oder Frauchen ihre Verantwortungsübertragung auf den Hund bewusst wäre, würden sie ja das hündische Verhalten auch nicht als auffällig identifizieren. Ich nenne in diesem Zusammenhang immer gerne das  Beispiel eines Wachhundes. In seinem Falle würde auch niemand auf die Idee kommen, sein ohrenbetäubendes Gekläffe als Verhaltensauffälligkeit zu brandmarken, wenn er jeglichen Eindringling verscheuchen oder auf ihn aufmerksam machen will.

Deshalb setzt eine „Hundetherapie“ in erster Linie auch nicht beim Korrigieren des hündischen Verhaltens an, sondern beim Versuch, das falsche Verhalten von Frauchen und Herrchen abzuändern, um dem Hund den Grund für sein „auffälliges“ Verhalten zu nehmen. Erst danach folgt die Korrektur des Hundes, falls es dann überhaupt noch notwendig ist. Im wahren Leben ist die Reihenfolge allerdings aus pragmatischen Gründen oftmals anders herum, da der Hund erst verstehen muss, dass Herrchen oder Frauchen ihm ab jetzt die Verantwortung entzogen haben. Aber die Diskussion über die Reihenfolge von hündischer Korrektur und menschlichem Verhalten hat etwas von Huhn und Ei. Daher ist es eben auch nicht falsch, wenn der Trainer den Hund an dieser Stelle übernimmt, um ihn zunächst in seinem Verhalten zu korrigieren und dann zu demonstrieren, dass er bei ihm die bisherige Verantwortung nicht mehr hat, so dass der Hund schon mal einen Aha-Effekt erfährt. Dabei ist die entscheidende Erfolgsvoraussetzung, dass beides korreliert, also die Korrektur nicht im Widerspruch zum Verhalten des Trainers steht. Ansonsten käme der Hund in einen Konflikt. Dies demonstriert der Trainer dem Hund durch sein Verhalten möglichst zeitnah zur Korrektur in einer gestellten Situation, und zwar in einer solchen, in der der Hund bisher seiner Verantwortung hätte gerecht werden müssen, aber jetzt eben nicht mehr, weil der Trainer jetzt diese Verantwortung anstatt seiner übernimmt. Das kann zum Beispiel die demonstrative Verteidigung gegenüber anderen Hunden sein. Und da der Hund – wie auch durch die „Kritiker“ anerkannt – sofort sein Verhalten ändert, muss unterstellt werden, dass er aufgrund seiner neurobiologischen Voraussetzungen und somit kognitiven Fähigkeiten auch dazu in der Lage ist, dieses andere Verhalten des Trainers mit der ihm entzogenen Verantwortung in Verbindung zu bringen und sein eigenes Verhalten dieser neuen Situation auch anzupassen.

Allerdings, und jetzt kommt der „Haken“, müssen Herrchen und Frauchen, wenn sie dann den Hund vom Trainer wieder übernehmen, sich in gleicher Weise und sofort wie der Trainer verhalten. Dann ist auch der Hund aufgrund seiner mentalen Kompetenz durchaus in der Lage, die Situation kognitiv so zu verarbeiten, dass er das veränderte Verhalten von Herrchen oder Frauchen mit der ihm entzogenen Verantwortung assoziiert.

Da dieses Verändern des Verhaltens von Herrchen und Frauchen dem Hund gegenüber aber einer Veränderung ihrer bisherigen Gewohnheiten gleichkommt, sind wir beim Problem, welches ich im vorherigen Beitrag erläutert habe.

Insofern unterstelle ich, dass das nicht nachhaltige Ändern des hündischen Verhaltens nach einer Therapie nicht auf einen sogenannten Trainereffekt zurückzuführen ist, sondern auf das nicht nachhaltige Ändern des Verhaltens von Herrchen und Frauchen dem Hund gegenüber. In der Humanmedizin nennt man dieses Phänomen „mangelnde Compliance“ des Patienten, also mangelnde Therapietreue, auf die ich auch in meinem Buch Problemhunde und ihre Therapie eingegangen bin.

Der Hund ist aufgrund seiner neurobiologischen Voraussetzungen sogar in der Lage, nuancierte Verhaltensänderungen des Menschen wahrzunehmen. Er kann sogar Stimmungsschwankungen bei Herrchen und Frauchen registrieren. Und man unterstellt ihm die Fähigkeit, mittels seines Geruchssinnes Gemütszustände seiner BesitzerInnen zu identifizieren.

Sollte man dann dem Hund nicht auch die Fähigkeiten zubilligen, ein geändertes Verhaltensmuster seiner Führungsperson zu erkennen und sich entsprechend angepasst zu verhalten? Ich denke, diesen Respekt sind wir ihm schuldig.

Zusammengefasst: Es gibt insofern einen sogenannten Trainereffekt in Form der unmittelbaren und wirkungsvollen Einflussnahme durch die Trainerpersönlichkeit auf den Hund mit der Folge, dass dieser sein Verhalten sofort ändert. Aber der gleiche Effekt stellt sich auch ein, wenn es dem Trainer gelingt, Herrchen oder Frauchen dazu zu motivieren, sich ab sofort so zu verhalten wie der Trainer. Dann müssten wir das Ganze aber auch “Herrcheneffekt” oder “Fraucheneffekt” nennen.

Deshalb ist der sogenannte Trainereffekt, so wie er argumentativ zur Begründung des Scheiterns der Transmission eines schnellen in einen auch nachhaltigen Trainingserfolg verwendet wird, nichts anderes als die Vertuschung des Scheiterns, das menschliche Verhalten von Frauchen oder Herrchen nicht ausreichend schnell ändern zu können.

Das Ganze soll keine unkollegiale Kritik an meinen KollegInnen sein, denn wenn Sie nochmal meinen vorherigen Beitrag über das Scheitern eines Trainings lesen oder sich in Erinnerung rufen, sollten Sie wissen, dass ich mich selbst hier nicht ausnehme. Auch mir gelingt dieses kommunikative Kunststück der erfolgreichen Motivation der HundebesitzerInnen nicht immer. Aber dann sollten wir das Kind auch beim Namen nennen und unser Scheitern nicht mit dem sogenannten Trainereffekt euphemisieren.