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Ressentiments der Moralapostel

Ein Reizthema ist nach wie vor die Erziehung durch Anwendung von Gewalt. Sogar Papst Franziskus hat hierzu seinen heftig umstrittenen Beitrag geleistet, als er auf die Aussage eines Vaters, dass er seine Kinder manchmal ein bisschen schlage, antwortete: „Wie schön“.

Ich rede hier zwar nicht von der Erziehung der Kinder, sondern im Gegenteil, von der der Hunde. Doch auch da ist die Anwendung von Gewalt bei so manch einem ein absolutes „No-Go“. Ganz zu schweigen von den medialen Angriffen und ganzen Foren im Netz gegen einen Cesar Millan und seinen heftig kritisierten Erziehungsmethoden.

Zur thematischen Einschränkung und zum besseren Verständnis meiner Position ist es notwendig, dass ich die Erziehungsfälle, von denen ich hier rede, sehr konkret benenne. Denn nur von diesen und ähnlich gelagerten Fällen rede ich und von keinen anderen. Ich rede nicht von Oma Hedwigs Schoßhund, der jeden Fremden mit seinem ohrenbetäubenden Kläffen belästigt und wie ein Wahnsinniger an der Leine zerrt, als wolle er flüchten.

Sondern bei den Fällen, von denen ich hier spreche, handelt es sich um Beißvorfälle, die nach meiner festen Überzeugung hätten verhindert werden können, wenn die HundebesitzerInnen bereits bei den ersten signifikanten Verhaltenssymptomen ihrer Hunde adäquat und konsequent reagiert hätten. Was sie aber offensichtlich nicht taten, weil irgendwelche selbsternannten Moralapostel ihnen erfolgreich ein schlechtes Gewissen eingeredet haben. Interessant war, dass die Auswertung aller Fälle ein einheitliches Bild über die Einstellung der HundebesitzerInnen zur Erziehung ihrer Hunde unter Anwendung von Gewalt ergaben: Alle gaben an, diese abzulehnen, um dem Hund nicht weh zu tun oder sogar, ihn nicht zu erniedrigen.

Um welche Fälle handelt es sich?

Ich verzichte im Folgenden bewusst auf die Nennung der jeweiligen Hunderasse, weil nach meinen Erfahrungen diese nur sehr eingeschränkt kausal mit dem konkreten Vorfall in Verbindung stehen. Sicherlich hat die Größe und Rasse etwas mit dem Verhalten und vor allem mit deren Folgen zu tun. Aber die Nennung der Rasse würde von der eigentlichen Ursache sehr schnell ablenken und den Laien veranlassen, voreingenommen der eigentlichen Ursachenanalyse aus dem Wege zu gehen und zu behaupten: „Na typisch, das ist doch klar, dass diese Bestien unberechenbar sind.“ Aber ob ein Hund beißt oder nicht, ist kein Resultat eines genetischen Programmiercodes in Abhängigkeit seiner Zuchthistorie.

Es handelt sich um Fälle mit sehr unterschiedlichen Hunderassen. In einem Fall biss die Hündin, die bereits mehrere Jahre bei dem Ehepaar lebte, in Gegenwart des Ehemannes der Ehefrau in den Unterarm. Im anderen Fall verbiss sich das Tier, ein Rüde, in den Rücken eines vierjährigen fremden Kindes und verletzte es schwer. In einem weiteren Fall attackierte der Hund ein dreijähriges Kind in der eigenen Familie und entstellte es derart, dass das Kind nicht nur physische sondern vor allem psychische Folgeschäden davontrug. Und in einem Fall bissen zwei im Rudel lebende Hunde einen fremden Hund, der auf sie zu rannte, in Folge dessen dieser eingeschläfert werden musste. Die Liste solcher Vorfälle ließe sich weit und lang fortsetzen. Ich will mit diesen wenigen nur auf die Art und Schwere der von mir gemeinten Aggressionen hinweisen.

Und nun versuche man sich einmal vorzustellen, in solchen Situationen bei der Mutter oder dem Vater eines drei-, vier- oder fünfjährigen Kindes, das durch eine Hundeattacke schwer verletzt wurde, um Verständnis bitten zu wollen, dass sie doch einsehen mögen, dass man einen Hund mittels Strafe nicht erziehen dürfe, denn das tue ihm doch weh oder erniedrige ihn. Würde ein Hund meinem kleinen Sohn so etwas angetan haben, würde ich ihm auf der Stelle sehr wehtun und erniedrigen. Und das, obwohl mir Hunde und ihr artgerechtes Wohlergehen sehr am Herzen liegen; ansonsten würde ich meinen Job wohl auch nicht machen können.

Bevor ich die aus meiner Sicht einzige effiziente und nachhaltige Erziehungsmaßnahme zur Vermeidung aggressiven und beißwütigen Verhaltens von Hunden beschreibe, müssen wir zunächst die Gründe für ihre Aggressionen verstehen. Denn im Umkehrschluss ist die Beseitigung dieser Gründe der Schlüssel zum Erfolg und erfahrungsgemäß die Voraussetzung, die Möglichkeiten ihres Vermeidens oder Beseitigens auch zu akzeptieren.

Wenn wir die pathologisch begründeten Aggressionen einmal vernachlässigen und außer Acht lassen, reduziert sich die auslösende Situation für aggressives Verhaltens immer auf drei Bedingungen, die gleichzeitig in dieser Situation bestehen oder da sein müssen:

  1. Bedingung: Der Hund fühlt sich selbst für seine Sicherheit verantwortlich oder ihm wurde diese Verantwortung übertragen und genießt nicht den Schutz des Besitzers bzw. der Besitzerin. Dazu zählt auch die Verantwortung für die Sicherheit anderer Tiere oder Menschen oder das Revier oder irgendeine Ressource. Dabei spielt es natürlich keine Rolle, ob ihm diese Verantwortung willentlich oder unbewusst durch die HundebesitzerInnen übertragen wurde. Meine Erfahrungen belegen aber, dass diese Verantwortungsübertragung meistens unbewusst geschieht, denn wenn ich in solchen Fällen die BesitzerInnen darauf anspreche, diese mit Unverständnis reagieren und mir entgegnen, dass sie dies nicht bewusst getan hätten.
  2. Bedingung: Der Hund fühlt sich akut in der konkreten Situation in seiner Sicherheit bedroht oder sieht die Sicherheit der ihm anvertrauten Personen oder Ressourcen als akut bedroht an. Zugegebenermaßen ist dies zu identifizieren bei der Ursachenanalyse die schwierigste Herausforderung. Denn dazu bedarf es immer der Kenntnis seiner „Geschichte“ oder Lebensumstände. So war es beispielsweise in einem der oben genannten Fälle die psychische Erkrankung der Ehefrau, die durch ihr „unnormales“ Verhalten für den Hund eine Bedrohung darstellte und der Ehemann, der die eigentliche Bezugsperson für den Hund war, ihm offensichtlich nicht das Gefühl vermittelt hat, ihm genügend Schutz zu bieten. Auch Kinder hinterlassen durch ihr oftmals unberechenbares Verhalten oder Reagieren beim Hund den Eindruck, seine Sicherheit oder die seiner Ressource zu gefährden. Fatalerweise kommt hier noch hinzu, dass Kinder die Drohsignale des Hundes als Freundlichkeit fehlinterpretieren.
  3. Bedingung: Ihm wurde ein zu großer Entscheidungsspielraum überlassen oder zugestanden, indem ihm im Rahmen der Erziehung oder Sozialisierung bisher keine Grenzen oder gar Tabus gesetzt wurden, an denen er das Nutzen seines agonistischen Verhaltensrepertoires ausrichten kann. Dieser Punkt korreliert direkt mit dem erstgenannten und ist mit ihm teilweise identisch. Denn das Übertragen einer Verantwortung geht immer einher mit dem Übertragen eines dazugehörigen Entscheidungsspielraums. Diesen Zusammenhang habe ich auch in meinem Buch „Problemhunde und ihre Therapie“ beschrieben. Auch deshalb ist hier oftmals die Irritation der HundebesitzerInnen groß, wenn ich sie darauf anspreche und ihnen erkläre, dass sie offensichtlich dem Hund den Entscheidungsspielraum überlassen hätten, sein agonistisches Verhaltensrepertoire auszunutzen, wozu auch seine Aggressionen einschließlich das Beißen zählen. Denn wie soll er ansonsten seiner ihm übertragenen Verantwortung gerecht werden. Das wäre ja vergleichbar mit einem Polizisten, den man all seiner hoheitlichen Mittel beraubt hätte.

Wenn einem diese drei Rahmenbedingungen als Voraussetzung für eine Beißattacke oder irgendeine sonstige Aggression bewusst geworden sind, lässt sich auch leicht die Erziehungsmethode verstehen, mittels derer der Hund im Rahmen seiner Sozialisierung oder Resozialisierung zu einem friedfertigen Wesen gemacht werden kann.

Und die positive Nachricht: Es bedarf keinerlei langwieriger Konditionierungsverfahren oder Übungen, sondern in der Regel nur einiger weniger Korrekturen. Allerdings müssen diese nicht nur konsequent sondern vor allem auch demonstrativ energisch erfolgen. Dazu muss man natürlich auch akzeptieren, dass solche modern gewordenen und mit wunderschön klingenden Namen verbrämten aber zum Scheitern verurteilten Methoden wie „positive Bestärkung“ oder das Reichen von Leckerli oder sonstige Firlefanz-Ablenkungsmanöver hier völlig fehl am Platze sind.  Stattdessen muss konsequent und energisch gehandelt werden:

  1. Man entbindet den Hund kompromisslos von der Verantwortung und bietet ihm simultan in allen Lebenssituationen einen demonstrativen Schutz. Dazu gehört zum Beispiel das energische Verweisen des Hundes hinter oder wenigstens neben sich. Und das insbesondere in Situationen, in denen andere Personen oder Artgenossen auftauchen. Der Grundsatz muss lauten: „Ich als HundebesitzerIn befinde mich immer zwischen der Gefahr und meinem Hund – niemals dahinter!“ Das konterkarierende Gegenteil wäre, den Hund an der „langen Leine“ vor sich herlaufen zu lassen und ihn dadurch schon objektiv immer als ersten mit der Gefahr oder Bedrohung zu konfrontieren, während ich mich gesichert hinter ihm unter seinem Schutz befinde. Für den Hund wäre dies eine unmissverständliche und demonstrative Verantwortungsübertragung mit einem adäquaten Entscheidungsspielraum inklusive der Aufgabenübertragung zur Gefahrenabwehr.
  2. Man entzieht ihm rigoros seinen Entscheidungsspielraum, indem er bei jeglichem Verstoß gegen ein Tabu oder Überschreiten einer Grenze sofort korrigiert wird. Und dieses Korrigieren ist in seiner Konsequenz unabhängig vom Grad des Verstoßes. Je konsequenter und energischer umso effizienter und effektiver. Wichtig dabei ist, dass dem Hund bereits beim kleinsten Anzeichen wie beispielsweise dem Knurren unmittelbar und ultimativ das Tabu demonstriert wird. Und sollte er aggressive Signale einem Kind gegenüber zeigen, müssen die HundebesitzerInnen erst recht und betont konsequent ihre Korrektur anbringen, um dem Hund den besonderen Schutz des Kindes zu verdeutlichen.

Nun kommt es natürlich einem akademischen Philosophieren gleich, darüber zu diskutieren, ob es überhaupt noch notwendig wäre, den Hund zu korrigieren, wenn ihm doch bereits die Verantwortung entzogen wurde. Damit wäre ihm ja schon der Grund für seine Aggressionen genommen. Einem solchen Einwand würde ich natürlich sofort zustimmen. Aber wir reden hier ja nicht nur von der Erziehung des Hundes bevor etwas passiert ist, sondern ebenso von Hunden, die bereits extrem auffällig geworden sind und denen Beißattacken vorgeworfen werden. In diesen Fällen muss beides simultan erfolgen, nämlich das energische Korrigieren – oder nennen wir es ruhig Bestrafen – und anschließende demonstrative Entbinden von der Verantwortung in Kombination mit der Demonstration seines Beschützens.

Zwei abschließende Bemerkungen seien mir noch gestattet zur Korrektur oder Bestrafung.

  1. Wir sollten im Interesse insbesondere unserer Kinder die scheinheiligen Ressentiments ablegen und nicht fälschlicherweise die Erziehung eines Kindes mit der Erziehung eines Hundes auf eine moralische Stufe stellen. Wenn ich ein Kind unter Anwendung oder sogar nur Androhung von Gewalt erziehe, beschädige ich seine Persönlichkeitsrechte. In der Tierwelt ist es aber das probateste und effizienteste Mittel einer Erziehung. Ohne sie wäre beispielsweise in der Welt der Säugetiere eine Erziehung undenkbar. Und seien Sie versichert, der Hund ist robust genug, um auch eine relativ grobe physische Sanktion zu verkraften.
  2. Erfahrungsgemäß laufen die meisten Korrekturen und Sanktionen ins Leere und bewirken keinerlei Veränderung im Verhalten des Hundes, weil die HundebesitzerInnen den eigentlichen Grund für das ungewollte hündische Verhalten als ultimative Voraussetzung nicht beseitigen, nämlich die dem Hund übertragene Verantwortung. Wenn nicht beides simultan geschieht, die Entbindung von der Verantwortung und die Korrektur, also Einschränkung seines Entscheidungsspielraumes, nützt kein Schimpfen, Hauen, Zerren oder Greifen in den Nacken. Im Gegenteil, der Hund, dem die Verantwortung weiterhin gehört aber korrigiert wird, kommt in einen Konflikt und verstärkt unter Umständen sein auffälliges oder aggressives Verhalten. Mit anderen Worten: Wenn man den Hund an der Leine vor sich herlaufen und an jeder nur denkbaren Stelle schnüffeln und markieren, ihn an jeden anderen seiner Konkurrenten heran lässt und sich freut wie toll er mit vielen anderen seiner Rivalen „kommuniziert“, kann man sich nicht nur jegliche Korrektur verkneifen, sondern sollte es sogar. Eine versuchte Korrektur ohne Ursachenbeseitigung hat ebenso fatale Folgen wie gar kein Handeln.