oder
was haben Fernsehhundetrainer mit Carl Friedrich von Weizsäcker zu tun?
„Das hat aber doch der bekannte Hundetrainer, der immer im Fernsehen auftritt, gesagt!“war die leicht empört klingende Reaktion eines Kunden, der glaubte, damit einen unwiderlegbaren Autoritätsbeweis bezüglich seines Wissens erbracht zu haben.
Es ging im Konkreten darum, dass ein Kunde aus Österreich mich kontaktiert hatte mit der Bitte, seinen „Leinenaggressor“ zu erziehen (seinen Worten nach, als allerletzten Versuch, denn es hätten sich bereits alle bekannten Hundetrainer einschließlich diejenigen, die man aus dem Fernsehen kenne, vergeblich an seinem Vierbeiner ausprobiert). Doch bevor er mich tatsächlich buchen wolle – denn er wusste, dass ich aus Deutschland anreisen muss -, wüsste er gerne, wie das Ganze praktisch ablaufen würde. Denn ihm sei bewusst, dass eine Hundeerziehung ein langwieriger Prozess und nicht sofort und in einem einzigen Besuch meinerseits realisierbar sei und er sich deshalb zuvor über die Kosten dieses Unterfangens klar werden müsse.
Weil ich ihm daraufhin versicherte, dass er bezüglich der Dauer einer Hundeerziehung einem Irrtum erliege und ich sein „Problem“ stattdessen höchstwahrscheinlich innerhalb eines einzigen Besuches beseitigen könne – mit der Einschränkung, sein Vierbeiner hätte eine neuropathologische Störung –, reagierte er recht misstrauisch und verwies auf mehrere im Internet und in den Medien veröffentlichte Beiträge, in denen schließlich das Gegenteil behauptet werde.
Demnach sei die Hundeerziehung, wie er beispielsweise in einem Beitrag gelesen habe, den ein bekannter Österreichischer Hundetrainer, der auch regelmäßig im ORF zu sehen sei, auf seiner Internetplattform veröffentlicht habe, ein langandauernder Prozess, der durchaus über viele Wochen oder sogar Monate sich hinziehen könne. Denn in diesem Beitrag spreche der medienbekannte Trainer zum Beispiel davon, dass im Laufe der Erziehung nach ca. 7 Wochen langsam das Reichen von Futter als Mittel der Belohnung abgesetzt werden könne. Woraus er schließe, dass der ganze Prozess länger als 7 Wochen dauern müsse. Und somit sei es für ihn schlichtweg schwer nachvollziehbar oder sogar unglaubhaft, wenn ich behaupten würde, dies stattdessen innerhalb eines Besuches „erledigen“ zu können oder zu wollen.
Um das Ganze an dieser Stelle abzukürzen – denn mein eigentliches Anliegen dieses Artikels ist ein gänzlich anderes – sei gesagt, dass wir uns schlussendlich dann doch auf einen Besuch meinerseits geeinigt haben, denn in der Regel organisiere ich um einen solchen Termin herum weitere Trainingstermine vor Ort, so dass sich meine Anreisekosten für alle Beteiligten, und somit auch die Gesamtkosten für diesen netten Herrn, in Grenzen halten bzw. gehalten haben. Und ich benötigte auch tatsächlich nur diesen einen Besuch bei ihm und seinem “Leinenaggressor”, denn der Herr erwies sich als sehr gelehrig und setzte meine Hinweise auch sofort um. Er ist heute übrigens ein sehr zufriedener Hundehalter, der sich völlig entspannt mit seinem Vierbeiner unter Menschen und andere Wesen wagt. Seinen Worten nach zeige sein ehemaliger „Aggressor“ heute sogar keinerlei Interesse mehr an anderen seiner Artgenossen und ignoriere sie regelrecht.
Aber damit zu meinem eigentlichen Anliegen. Ich habe mich daraufhin auf der Internetseite des von ihm erwähnten medienbekannten Hundetrainers umgeschaut und relativ schnell des Pudels Kern des Problems gefunden. Denn auch in diesem Falle – und davor ist eben auch ein Hundetrainer, obwohl er regelmäßig im Fernsehen erscheint, offensichtlich nicht gefeit – wurde der Unterschied zwischen der Ausbildung eines Hundes und seiner Erziehung nicht beachtet, geschweige denn verstanden. Da er in dem genannten Kontext ausdrücklich von einer Erziehung des Hundes spricht und als Lösung bzw. Trainingsmethode die Konditionierung nennt (in diesem Falle mithilfe des Reichens von Futter als Belohnung für ein erwünschtes Verhalten des Hundes), kann ich mich dieses Eindrucks halt nicht erwehren, dass auch ein so bekannter Hundetrainer den Unterschied zwischen Erziehung und Ausbildung nicht wirklich verstanden hat.
Da dies scheinbar ein allgegenwärtiges Missverständnis selbst unter sogenannten Hundeexperten ist und ich nach gründlichen Recherchen erstaunlicherweise nur sehr wenige Quellen gefunden habe, die sich überhaupt mit diesem Thema befassen, geschweige denn wissenschaftlich fundiert, habe ich mich in meinem jetzt gerade veröffentlichten zweiten Buch „Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde und die Gründe ihres Scheiterns“ (siehe unter BÜCHER) explizit und ausführlich diesem Thema gewidmet und die Definitionen zur Erziehung und Ausbildung einmal formuliert. Selbst in wissenschaftlichen Arbeiten wie beispielsweise Dissertationen findet man solche Definitionen nicht, zumindest ich nicht. Und das ist um so erstaunlicher bzw. bedauerlicher, da ich glaube, dass das Nichterkennen dieses Unterschiedes zwischen einem Erziehungs– und einem Ausbildungsproblem die Hauptursache des Misslingens einer Hundeerziehung begründet. Denn wenn schon die „Diagnose“ nicht stimmig ist, wie soll dann erst die Wahl der richtigen „Therapie“ gelingen.
Aber ein weiteres Phänomen reizte mich, diesen Artikel zu schreiben: Nämlich die Tatsache, dass die im Fernsehen auftretenden Hundetrainer einen schier unglaublich hohen Vertrauensbonus für sich in Anspruch nehmen können. Denn ich erlebe es immer wieder, dass mir deren Aussagen quasi als Autoritätsbeweis entgegengehalten werden und sozusagen als Axiom oder unstrittiges Faktum und keines weiteren Beweises mehr bedürfend, unumstößlich und quasi als gesetzesähnlich angesehen werden. Der Nimbus solcher Personen, die das Medium Fernsehen für sich nutzen, der heiligenscheinähnliche Ausmaße annimmt, ist schon erstaunlich. Und das, obwohl ihre Aussagen und Vorführungen allein schon durch den gesunden Menschenverstand relativ leicht widerlegbar erscheinen; selbst für den Laien.
Vielleicht wirkt meine Vermutung, worin dieses Phänomen begründet zu sein scheint, ein wenig übertrieben. Aber ich glaube zumindest an das berühmte Fünkchen Wahrheit; oder sogar mehr. Ich vermute nämlich diese, insbesondere im deutschsprachigen Raum wiederzufindende Tatsache, in der typisch deutschen Obrigkeitshörigkeit oder auch dem Untertanengeist, den schon Carl Friedrich von Weizsäcker in seinem letzten großen Werk „Der bedrohte Friede: Politische Aufsätze 1945 – 1981“, erwähnt hat. Der typische Deutsche sei absolut obrigkeitshörig, ein typischer Befehlsempfänger und des eigenen Denkens entwöhnt.
Auf der Internetplattform „Fassadenkratzer“ kann man zu diesem Thema lesen: „Die Ursache der besonderen deutschen Untertanengesinnung wird vielfach in einer verbreiteten autoritären Erziehung in Elternhaus und Schule gesehen, die sich in dem auf Befehl und Gehorsam beruhenden preußischen Militär gleichsam fortsetzte. Max Weber sieht eine zentrale Ursache im Protestantismus, der den Staat als göttliche Einrichtung absolut gesetzt und den Obrigkeitsstaat legitimiert habe. Das Luthertum sei für den Untertanengeist und die Obrigkeitshörigkeit der Deutschen verantwortlich. Allgemein meint man, dass diese gläubig-gehorsame Seelenhaltung gegenüber der Obrigkeit über Generationen hinweg schließlich so verinnerlicht worden sei, dass es in der Regel keiner äußeren Gewalt mehr bedürfe, um sie aufrecht zu erhalten.“
Wie gesagt, vielleicht ein wenig übertrieben. Aber wie anders sonst kann es sein, dass diesen vermeintlichen Experten – ich nenne sie mal Fernsehhundetrainer – seitens der medienkonsumierenden Glaubensgemeinde immer noch nahezu völlig unkritisch abgenommen wird, dass die Erziehung eines Hundes mittels des Reichens von Leckerlis möglich sei. Obwohl jeder Pädagogik- oder Psychologiestudent bereits im ersten Semester das Gegenteil lernt. Denn weder eine Bestrafung noch eine Belohnung kann einen nachhaltigen erzieherischen Effekt erzielen, wenn nicht gleichsam die Verhaltensursache für ein unerwünschtes Verhalten beseitigt wird. Und letzteres ist das entscheidende Kriterium einer Erziehung, die zur Einsicht führt.
Aber auf all diese Zusammenhänge und theoretischen Grundlagen bin ich jetzt einmal in meinem zweiten Buch eingegangen.
105. Der „differenzierte Beschützerinstinkt“ eines Hundes
oder Ist die Erziehung eines Hundes personengebunden und somit auch nicht übertragbar? Um die Antwort auf die Frage vorwegzunehmen: Ja,...
104. Warum Hundetrainer oftmals bei der Erziehung versagen
oder Wie könnte Sokrates ihnen helfen, die Ursachen ihres Scheiterns selbst zu erkennen? (Des angenehmeren Lesens wegen verzichte ich auf eine...
103. „Positive Bestärkung“ und andere Irrtümer der Hundeerziehung
oder Was kann eine Konditionierung überhaupt bewirken? Gibt man bei Google den Suchbegriff Hundeerziehung ein, um nach Empfehlungen Ausschau zu...