oder
Warum scheitern so viele HundetrainerInnen an der Hundeerziehung?
Ich habe für mein neues Buch DIE ERZIEHUNG VERHALTENSAUFFÄLLIGER HUNDE ganz bewusst den Untertitel UND DIE GRÜNDE IHRES SCHEITERNS gewählt. Denn darin bestand primär mein Motiv, ein weiteres Buch über die Erziehung des Hundes zu schreiben. Ich fand es an der Zeit, ungeeignete Erziehungsmethoden, die heute immer noch und wider besseres Wissen zur Anwendung kommen, einmal zu benennen und zu erklären, warum so viele Hundeschulen an der Erziehung vermeintlich verhaltensauffälliger Hunde geradezu scheitern müssen. Das heißt sie scheitern nicht an der Ausbildung der Hunde, sondern ausschließlich an der Erziehung bzw. Sozialisierung der Vierbeiner.
Es war mir allerdings bewusst, dass ich damit auch Gefahr laufe, dergestalt missverstanden zu werden, ich wolle andere HundetrainerInnen verunglimpfen. Denn dies wird mir immer mal wieder auch an dieser Stelle vorgeworfen, wenn ich hier in kritischen Beiträgen die zum Teil stümperhaften Versuche entlarve, einen Hund mittels ungeeigneter Methoden, die maximal zu ihrer Konditionierung taugen, sozialisierenzu wollen.
Eine Verunglimpfung anderer ist jedoch mitnichten meine Absicht und ich habe es auch immer wieder betont, dass ich viele gute HundetrainerInnen und Hundeschulen kenne, die einen tollen Job machen und ich an diese meine Kritik auch nicht gerichtet wissen will. Aber ich sah es an der Zeit, all den vielen nahezu verzweifelten HundehalterInnen eine Stimme zu geben, die sich in den letzten Jahren an mich gewendet haben mit der Bitte, ihnen vielleicht doch noch zu helfen. Denn viele von ihnen hatten zuvor regelrechte Odysseen von Hundeschulbesuchen, darunter sogar sehr bekannte Hundeschulen und HundetrainerInnen, hinter sich, für die sie auch relativ viel Geld bezahlt haben, ohne dass ihnen jedoch wirklich geholfen wurde. Und was das Ganze so tragisch erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass es für all diese Fälle eine relativ einfache Lösung gegeben hätte. Und ausschließlich diese Fälle will ich in meinen Beiträgen gemeint wissen.
Doch wenn jemand empört auf meine Beiträge reagiert und dabei lediglich eine pauschale Ablehnung meiner Aussagen vorbringt, ohne diese mit nachvollziehbaren Argumenten zu belegen, habe ich wahrscheinlich sogar den richtigen Adressaten erreicht. Würde man stattdessen solche vorbringen, die möglichst durch Erkenntnisse der Verhaltensforschung oder anderer angrenzender Fachrichtungen belegt sind, wäre ich der Letzte, der sich nicht korrigieren würde.
Somit will ich auch in meinem jetzigen Beitrag wieder auf eine Frage einer Hundehalterin eingehen, die sie mir stellte, nachdem auch sie zuvor mehrere Hundeschulen erfolglos um Hilfe gebeten hatte, ihren „Leinenaggressor“ von seinen Allüren zu befreien.
Es geht um ihre Frage, ob es denn richtig sei – so wie man ihr seitens der „ExpertInnen“ geraten habe –, ihrem „Aggressor“ in Situationen, in denen er sich anschickt, sein rüpelhaftes Verhalten zu zeigen, eine Ablenkung zu bieten. Dies habe man ihr nicht nur geraten, sondern ihr selbiges sogar auch demonstriert. Dazu hätte der oder die Hundetrainer(in) beispielsweise ein mit Leckerli gefülltes Behältnis, ähnlich einer Federtasche, verwendet, welches sie dem Hund entweder vor die Nase hielten, wenn er an der Leine zerren wollte oder, wenn er Aggressionen zeigte, es zum Zwecke seiner Ablenkung in die entgegengesetzte Richtung geworfen.
Anfänglich habe sie sogar überglücklich geglaubt, ihr sei endlich geholfen worden, weil sich ihr „Leinenrambo“ scheinbar tatsächlich durch solche Ablenkungsmaßnahmen in seinem Verhalten beeinflussen ließ.
Aber eben nur scheinbar. Denn schon ein paar Spaziergänge später, nachdem die Rechnungen beglichen waren, entpuppte sich das schöne Sein nur als ein schlichter Schein.
Bevor ich aber auf die Frage der guten Dame eingehe, ob ein Hund tatsächlich mittels Ablenkung von seinem unerwünschten sozialen Verhalten befreit werden könne, macht es Sinn, zu klären, ob es sich bei dem hündischen Verhalten und dessen Beseitigung um einen Ausbildungs– oder einen Erziehungssachverhalt handelt. Denn erst wenn dies geklärt ist, kann oder sollte über eine geeignete Methode nachgedacht werden, mittels derer das angestrebte Ziel erreicht werden soll und kann. Denn eine Erziehungsmethode läuft bei einem angestrebten Ausbildungsziel genauso ins Leere wie umgekehrt, eine Methode der Ausbildung zur Erreichung eines Erziehungsziels ungeeignet ist.
Metaphorische vergleichbar mit der Herausforderung der Schule. Wenn nämlich ein Schüler den dritten Hauptsatz der Thermodynamik erklären kann, aber in jeder Hofpause seine Mitschüler verprügelt, haben die Methoden seiner Ausbildung offensichtlich gefruchtet, nur die der Erziehung halt nicht. Er wäre somit gut ausgebildet, jedoch schlecht erzogen.
Da selbst in wissenschaftlichen Publikationen kaum oder gar nicht auf dieses Thema eingegangen wird, habe ich mich veranlasst gesehen, beide Definitionen, sowohl die zur Erziehung als auch die zur Ausbildung eines Hundes, in meinem oben erwähnten Buch zu formulieren. Deshalb erspare ich es mir an dieser Stelle, weil es den Rahmen dieses Beitrages auch sprengen würde.
Nur so viel:
Die Ausbildung ist Inhalt und Ziel des Erlernens von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch den Hund mithilfe extrinsischer Motivatoren. Das heißt der auszubildende Hund wird durch äußere Stimuli motiviert, sich Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen, wofür ihm die natürlichen Instinkte und Motive fehlen. Die bekannteste Ausbildungsmethode ist die Konditionierung (oder Dressur) durch Belohnung oder Bestrafung.
Die Erziehung hingegen ist Inhalt und Ziel der Beeinflussung seines Dispositionsgefüges, in Form seiner Veranlagungen und Instinkte, welche sein Sozialverhalten begründen. Da letzteres ausschließlich auf die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse abzielt, erfolgt die Erziehung durch Beeinflussung seiner intrinsischen Motivation, so dass er für sich einen Vorteil sieht, wenn er sich so verhält wie er sich verhalten soll. Das heißt bei der Erziehung nimmt man Einfluss auf den Grund seines Verhaltens.
Wenn wir uns nun das unerwünschte Verhalten des oben erwähnten Hundes anschauen, stellt sich doch die Frage, ob ihm entweder das Beherrschen irgendeiner Fähigkeit oder Fertigkeit fehlt, oder ob er ein unerwünschtes soziales Verhalten an den Tag legt.
Ich denke, es bedarf keiner großartigen Expertise, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es sich in dem zuvor beschriebenen Fall unzweifelhaft um ein angestrebtes Ziel der Erziehung handelt. Das heißt die Wahl der Mittel sollte auf eine Erziehungsmethode fallen und nicht auf eine Methode der Konditionierung. Woraus sich, wenn man den Gesetzen der Logik folgt, die nächste Frage ergibt, die sich mit der Frage der guten Dame deckt:
Ist die Methode der Ablenkung mittels eines extrinsischen Motivators (Behältnis mit Leckerli) eine geeignete, das Dispositionsgefüge des Educanden (zu Erziehenden) zu beeinflussen?
Oder anders gefragt: Kann man mittels einer Belohnung Einfluss nehmen auf den Grund für das hündische Verhalten?
Dazu muss man zunächst einmal klären, worin denn der Grund für den Hund besteht, an der Leine zu zerren oder sich aggressiv anderen gegenüber zu verhalten. Die Antwort liefert sein Dispositionsgefüge:
Der Hund hat drei Grundbedürfnisse, die sein soziales Verhalten begründen: Stoffwechsel, Sicherheit und Fortpflanzung. Im hiesigen Kontext spielt jedoch vorrangig nur sein Sicherheitsbedürfnis eine Rolle. Und dieses will ein Hund grundsätzlich erst einmal selbst befriedigen. Dabei bezieht er in der Regel die Sicherheit sowohl seiner Bezugsperson(en) (Frauchen oder Herrchen und Familienmitglieder) als auch das gewohnte Revier wie Haus und Hof mit ein. Das bedeutet, wenn dem Hund nicht explizit die Verantwortung für diese Sicherheit genommen wird, kommt er dieser auch nach. Das heißt er klärt das Revier nach Feinden und Gefahren auf (deshalb sein Zerren an der Leine), um im Bedarfsfall sich und Frauchen bzw. Herrchen vor diesen zu bewahren, und er nutzt sein agonistisches Verhaltensrepertoire, wozu auch seine Aggressionen zählen, um Feinde und Rivalen fernzuhalten.
Den Gesetzen der Logik weiter folgend bleibt nun nur noch zu klären, mithilfe welcher Methode man dem Hund diesen Grund nehmen kann.
Ich denke, dass es auch hierzu keiner großartigen Expertise bedarf, um zu verstehen, dass es durch Ablenkung nie und nimmer gelingen kann, einen Verhaltens-Grund zu beseitigen. Eine solche Annahme wäre absurd.
Die Lösung kann demzufolge nur sein, dem Hund den Grund für sein unerwünschtes Verhalten dergestalt zu nehmen, indem man ihn von seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die von Frauchen oder Herrchen usw. entbindet. So dass er ab sofort keine intrinsisch motivierte Veranlassung mehr sieht, sich und sie zu beschützen, weil Frauchen oder Herrchen dies jetzt und in Zukunft statt seiner tun.
Bleibt noch abschließend die Frage, warum es denn scheinbar und zumindest temporär so ausschaut, als könne man tatsächlich das soziale Verhalten eines Hundes mit dem Reichen von Leckerli oder sonstiger Belohnung, oder gar durch Ablenkung, beeinflussen wie es auch der guten Dame nach dem Besuch der Hundeschulen zunächst erschien. Die Antwort findet sich in der Hierarchie der Grundbedürfnisse: Das Grundbedürfnis nach Nahrungsmaximierung lässt sogar das Sicherheitsbedürfnis in den Hintergrund rücken. Für Nahrung riskiert so manch einer Kopf und Kragen oder lässt ihn die unsinnigsten Dinge machen wie Zick-Zack durch Frauchens Beine laufen oder ähnliches. Und solange die Wertigkeit eines extrinsischen Motivators für den Hund situationsbedingt stark genug ist und die Wertigkeit seines intrinsischen Motivs überlagert, wird der Hund auch auf das Leckerli oder die Belohnung reagieren. Aber damit ist der Grund für sein soziales Verhalten ja mitnichten aus der Welt. Dieser bleibt weiterhin latent präsent und bricht sich früher oder später wieder Bahn, sowie die Wirkung des extrinsischen Motivators nachlässt oder sogar ausbleibt (weil die Leckerli zur Neige gehen).
Urteilen Sie also selbst, ob es im Rahmen des Möglichen liegt, einen Hund erziehen zu können, indem ihm eine Federtasche gefüllt mit Leckerli vor die Nase gehalten wird.
Diese und viele andere Irrtümer, aber auch die Lösungen, können Sie in meinem Buch nachlesen. Sie finden den Link zum Buchshop hier auf meiner Internetseite in der Rubrik BÜCHER.
105. Der „differenzierte Beschützerinstinkt“ eines Hundes
oder Ist die Erziehung eines Hundes personengebunden und somit auch nicht übertragbar? Um die Antwort auf die Frage vorwegzunehmen: Ja,...
104. Warum Hundetrainer oftmals bei der Erziehung versagen
oder Wie könnte Sokrates ihnen helfen, die Ursachen ihres Scheiterns selbst zu erkennen? (Des angenehmeren Lesens wegen verzichte ich auf eine...
103. „Positive Bestärkung“ und andere Irrtümer der Hundeerziehung
oder Was kann eine Konditionierung überhaupt bewirken? Gibt man bei Google den Suchbegriff Hundeerziehung ein, um nach Empfehlungen Ausschau zu...