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Was hat eine antiautoritäre Kindererziehung mit „Problemhunden“ zu tun?
Bei meinen Recherchen zu diesem Beitrag stieß ich auf ein Interview, das Jeannett Otto 2015 in Stockholm mit dem schwedischen Psychiater und Buchautoren David Eberhard für DIE ZEIT führte. Er hatte gerade sein neues Buch Kinder an die Macht veröffentlicht, in dem er die liberale Kindererziehung als gescheitert beschreibt.
Zur gleichen Zeit untersagten im kinderfreundlichen Schweden sogar Gastwirte Familien mit Kindern den Zutritt zu ihren Lokalen, was mittlerweile ja auch in Deutschland der Fall ist. Auf die Frage der Journalistin zu seiner Meinung, sagte er: „Ich kann das gut verstehen. Es gibt immer Kinder, die schreien, Getränke verschütten, durch die Räume rennen oder bei minus fünf Grad die Tür aufreißen. Die Eltern sitzen daneben und denken nicht daran, einzugreifen.“
Warum sage dann kein anderer was? „Das traut sich niemand mehr. Eltern können sehr unangenehm werden, wenn man ihren Nachwuchs kritisiert. Früher gab es eine Gemeinschaft der Erwachsenen. Man hatte die gleichen Werte, was die Erziehung anging. Wenn sich ein Kind danebenbenahm, ging man hin und sagte: Hör auf damit! Diese Übereinkunft gibt es nicht mehr.“
Auf seine Behauptung angesprochen, die liberale Erziehung sei gescheitert, sagte Eberhard: „Weil sich Eltern nicht mehr wie verantwortungsvolle Erwachsene verhalten. Sie glauben, beste Freunde ihres Kindes sein zu müssen. Sie stellen sich auf eine Stufe mit dem Kind, wagen nicht, ihm zu widersprechen, Grenzen zu setzen. Sie treffen keine Entscheidungen mehr …“
Auf die Frage der Journalistin, wer denn bei ihm in der Familie entscheide? „Ich entscheide … Ich finde nicht, dass die Familie eine demokratische Institution sein sollte. Die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern ist immer asymmetrisch. Es ist die Beziehung von Meister und Schüler. Der eine unterrichtet, der andere hört zu. Die Eltern können Dinge besser einschätzen, weil sie mehr Erfahrung haben, mehr wissen. Sie sollten die Regeln machen …Eltern in der westlichen Welt befürchten inzwischen allerdings, die kleinste Kritik könne ihr Kind traumatisieren. Die trauen sich nicht mal mehr, zu ihrer pubertierenden Tochter zu sagen: Iss nicht so viel Schokolade, sonst wirst du zu fett, weil sie Angst haben, das Mädchen könnte sofort magersüchtig werden. Dabei können wir Kindern ruhig etwas zumuten, die halten das aus. Wir müssen sie nicht behandeln wie Porzellanpuppen.“
Der Psychiater weiter: „So ziehen wir Rotzlöffel heran.“
Soweit, so gut; aber was hat das Scheitern einer antiautoritären Kindererziehung mit einem „Problemhund“ zu tun, wie ja meine eingangs formulierte Frage lautet?
Die Antwort liefert schon das Interview. Denn in den Antworten des Psychiaters könnte man getrost den Begriff KINDER durch den Begriff HUNDE ersetzen. Denn wenn wir die Ursachen suchen, warum sich Hunde aggressiv oder generell problematisch und auffällig verhalten und keine Regeln zu kennen scheinen – in den letzten Jahrzehnten sogar mit steigender Tendenz –, liegt es, mit Ausnahme der pathologischen Fälle, ausschließlich am Unterlassen der HalterInnen, den Hund autoritär zu erziehen oder auch gar nicht. Mittlerweile gilt es zunehmend als schick, zu behaupten, den Hund als Partner, Freund oder auf Augenhöhe zu behandeln. In der Hundeerziehung – oder generell gesagt, im Umgang mit dem Hund – scheint sogar der Laissez-Faire-Erziehungsstil, der in der Kindererziehung als längst gescheiterter Unfug entlarvt wurde, eine Reinkarnation zu genießen.
So fragte mich neulich eine Kundin, was ich von einem Buch zur Hundeerziehung halte, das sinngemäß mit dem Titel auf sich aufmerksam mache, man solle höflich zu seinem Hund sein und mit ihm auf Augenhöhe kommunizieren.
Ich hatte das Buch noch nicht gelesen und wollte mir deshalb auch nicht anmaßen, über dessen Inhalt zu urteilen. Und ich wollte und will dem Autor auch auf gar keinen Fall Unrecht tun, falls der Inhalt nicht dem entspricht, was der Titel suggeriert. Aber als solcher sollte man bedenken, dass schon der Titel eines Buches eine Botschaft enthält, die der potentielle Leser auch mit dem Inhalt des Buches assoziiert. Und somit musste ich der Kundin gegenüber dahingehend reagieren, dass sich solch ein Slogan bedauerlicherweise in guter Gesellschaft befände, indem es ein momentanes Klischee der falsch verstandenen Tierliebe bediene, welches beim Laien seit geraumer Zeit leider auf fruchtbaren Boden falle. Denn wenn ich mir die Tendenz in den vergangenen Jahren in der Darstellung der Mensch-Hund-Beziehung anschaue, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, der Hund sei zu einem menschenähnlichen Baby geworden und müsse in gleicher Weise verhätschelt werden.
Bei solcherart Aussagen muss man bedenken, dass sie eine verheerende Botschaft enthalten; nämlich, den Hund als gleichberechtigten Partner zu sehen und sich ihm gegenüber auch so zu verhalten. Aber das ist, ebenso wie in der Kindererziehung und wie wir gerade von einem Psychiater erfahren haben, auch in der Erziehung und im Umgang mit einem Hund grundsätzlich falsch. Denn auch die Beziehung zwischen Mensch und Hund ist nun einmal asymmetrisch.
Auch ein Hund will geradezu – adäquat eines Kindes – Grenzen und Regeln vermittelt bekommen, um sich daran orientieren zu können. Entsprechend des evolutionsbiologisch bedingten Ranges des Hundes unterhalb des Menschen muss letzterer die Entscheidungen treffen, nach denen der Hund sich zu verhalten hat. Und sollte er über die Stränge schlagen und Grenzen oder Regeln verletzen, bedarf es der Korrektur, auch in Form der Bestrafung.
Es ist sogar ein großer Irrtum, zu glauben, der Hund fühle sich wohl in der Rolle eines gleichberechtigten Partners. Im Gegenteil, er ist in den über 30 000 Jahren seiner Domestikation zu unserem Befehlsempfänger geworden und erwartet es regelrecht, von uns gesagt zu bekommen, wo es langgeht. Er will uns gefallen und in unserem Auftrage Aufgaben erfüllen. Darüber darf auch nicht hinwegtäuschen, wenn er mit uns in einem Bett schlafen oder gemeinsam auf der Couch liegen will. Er ist einfach nur gern in unserer Nähe. Und es hat auch nichts mit einem angeblichen Dominanzgebaren zu tun, wenn er mit uns gemeinsam fressen will oder vor uns aus der Tür läuft. Das ist Unfug. Der Hund ist in der Hierarchie unter uns und fühlt sich in dieser Rolle auch pudelwohl. Denn er hat damit eine ökologische Nische gefunden, die ihm in außergewöhnlicher Weise einen riesigen Überlebensvorteil bietet.
Auch will ich nochmal das vielgepriesene Loben im Rahmen der Erziehung als eher schädlich entlarven. Ebenso wenig wie ein Kind zu seiner Persönlichkeitsentwicklung das ständige Loben benötigt, benötigt dies auch kein Hund. Wenn ein Kind ständig und für jeden Quatsch gelobt wird, nützt dies nur einem, nämlich dem Ego des Lobenden. Das Kind hat davon gar nichts. Dem Kind muss nämlich ebenso wenig wie einem Hund der Umgang mit Erfolg antrainiert werden. Das können beide von ganz allein, denn darauf sind ihre Gehirne bereits von Geburt an programmiert. Weil jedes Mal, wenn ihr Handeln erfolgreich war, ihre Gehirne einen allseits bekannten Neurotransmitter ausschüttet und sie vor Freude tanzen lässt. Das motiviert sie ausreichend, denn das Gehirn wird quasi süchtig nach diesem herrlichen Rausch; ähnlich einem Junkie. Aber Kinder, die immer nur Erfolg haben und denen jegliche Möglichkeit des Ertragens und Bewältigens von Niederlagen und Enttäuschungen durch überfürsorgliche Eltern vorenthalten werden, sind die ersten Kandidaten für Depressionen.
Viel wichtiger ist es für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung und Vorbereitung auf eine erfolgreiche Bewältigung des Lebens, sie mit Niederlagen und Enttäuschungen zu konfrontieren und ihnen zu zeigen, wie sie Frustration meistern. Denn das kann das Gehirn von Hause aus nicht sehr gut, weil dessen Beherrschung evolutionsbiologisch keinen Vorteil bot. Deshalb sollten beide es lernen, damit gelassen umzugehen. Und alles was sie dazu benötigen, ist Sicherheit und Rückhalt durch Mama und Papa oder Frauchen und Herrchen. Wenn das Kind mit einer Eins aus der Schule kommt, trägt das überschwängliche Loben jedenfalls nicht zur mentalen Stärkung oder Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins bei. Anders sieht es aus, wenn der Schützling eine bittere Niederlage oder Enttäuschung zu verkraften hat und Mama oder Papa es dann in den Arm nehmen und sagen: Nicht so schlimm, das schaffen wir schon zusammen (auch wenn dieser Slogan momentan etwas umstritten ist). Das Kind, ebenso wie der kleine Hund, benötigen zu ihrer mentalen Stärkung das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, falls mal was schiefgeht. Ein Kind wird kein mutiger Abenteurer durch ständigen Erfolg. Mut und Risikobereitschaft entwickelt es nur dann, wenn es gelernt hat, dass Mama oder Papa es auffängt, falls es runterfällt. Das Gleiche gilt für einen kleinen Hund. Auch er entwickelt nur dadurch Selbstvertrauen und soziale Kompetenz, wenn er sich auf Frauchen oder Herrchen verlassen kann und weiß, dass sie ihn in Gefahrensituationen beschützen.
Eine sogenannte Welpenspielgruppe hilft dabei übrigens nicht. Denn eine solche hätte nur dann Sinn und würde die vorgegebene Zielstellung halbwegs erfüllen, wenn es das Herrchen eines Rüpels in der Welpengruppe gestatten würde, dass ich als Herrchen des von diesem Rüpel gemobbten Welpen, seinen Rüpel im Falle seines Mobbings energisch in die Schranken verweisen darf, um meinem Schützling zu demonstrieren, dass ich sein Beschützer bin. Denn das wäre der einzige Sinn einer Welpenspielgruppe, die der Sozialisierung dienen soll, so wie die Befürworter immer scheinheilig vorgeben. Aber weder glaube ich, dass – wie meine Recherchen es belegen – alle Hundetrainer Mobbing in einer sogenannten Welpenspielgruppe überhaupt erkennen, noch glaube ich, dass man ein solches Herrchen finden würde, dass eine Bestrafung seines Lieblings durch einen Fremden zuließe. Im Gegenteil, wie wir es von dem Psychiater erfahren haben, reagieren Eltern eher sehr allergisch gegenüber Fremdkritik an ihren Schützlingen. Die Sozialisierung eines Welpen ist nämlich nichts anderes, als ihm zu demonstrieren, dass er in anderen Hunden keine Konkurrenten oder gar Feind mehr zu sehen braucht, weil Herrchen oder Frauchen ihm diese vom Halse hält oder ihn und sich selbst vor allen Gefahren bewahren. Hunde brauchen jedenfalls keine fremden Hunde zur Sozialisation, sondern ausschließlich fürsorgliche Frauchen und Herrchen..
Aber nochmal zurück zu Lob und Anerkennung. Diese spielen nur eine Rolle im Rahmen der Ausbildung von Kind und Hund. Wenn sie etwas lernen oder sie etwas machen sollen, was sie von sich aus nicht machen würden, wie beispielsweise der Hund Sitz, Platz & Co., dann kann Lob und Anerkennung sie motivieren, dies zu tun. Denn kein Hund mag gerne Platzen; außer er bekommt zur Belohnung ein Leckerli dafür.
Allerdings, und hier unterscheidet sich die Erziehung des Kindes von der des Hundes, was ich auch in meinem gerade veröffentlichten zweiten Buch DIE ERZIEHUNG VERHALTENSAUFFÄLLIGER HUNDE UND DIE GRÜNDE IHRES SCHEITERNS ausführlich beschrieben habe, dahingehend, dass das Kind im Rahmen seiner Erziehung zur Einsicht geführt werden muss, welche Regeln es einzuhalten hat, damit es erfolgreich und konfliktfrei in seinem sozialen Umfeld zurechtkommt. Der Grund liegt darin, dass das Kind diese Regeln aufgrund nicht vorhandener Instinkte nicht kennt oder noch nicht beherrscht. Bei einem Hund ist dies genau anders herum. Er muss aufgrund vorhandener Instinkte von diesen befreit werden. Denn diese Instinkte lassen ihn ansonsten als Beschützer oder Bewacher agieren, was sich aber heutzutage im normalen und alltäglichen gesellschaftlichen Umfeld des Menschen als störend erweist. Das heißt, wenn der Hund seine ihm angezüchteten uralten Verhaltensweisen, beispielsweise als Wach- und Schutzhund, nicht mehr ausleben soll, muss er im Rahmen seiner Erziehung davon befreit bzw. entbunden werden.
Und da eine solche Erziehung bei einem Hund nicht über den Weg der Vernunft beschritten werden kann – denn wir können nicht mit ihm wie mit einem Kind verbal kommunizieren und ihm die Zusammenhänge erklären, so dass er irgendwann zur Einsicht käme, dass es falsch oder unerwünscht ist, andere zu verjagen oder auf Frauchen aufzupassen und deshalb nicht mehr an der Leine zu zerren braucht, um das Revier nach Feindesinformationen aufzuklären – können wir dies stattdessen nur über die Beeinflussung seiner Grundbedürfnisse. Und da bietet sich insbesondere sein Bedürfnis nach Sicherheit an. Wenn wir ihm dieses befriedigen, so dass er nicht mehr selbst dafür zu sorgen hat, kommt er sehr schnell zur „Einsicht“, dass es keinen Grund mehr gibt, sich aggressiv gegenüber anderen zu verhalten.
Wenn der Mensch den Hund aber als sozial gleichberechtigten Partner behandelt und sich ihm gegenüber auch so verhält und ihm eine autoritäre Erziehung verweigert, zieht er sich einen Rotzlöffel heran.
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