und
Einsteins Relativitätstheorie
Zugegeben, etwas übertrieben, beides in einem Atemzuge zu nennen. Aber mir kam diese Assoziation eigenartigerweise in den Sinn, als mich neulich eine Kundin – merklich enttäuscht von mehreren fehlgeschlagenen Hundeschulbesuchen – fragte, warum es offensichtlich für manche Hundetrainer unmöglich sei, einen Leinenaggressoren zur Räson zu bringen.
Die Kundin, von der ich hier berichte, nennt eine 60 kg Rottweilerdame ihr Eigen, die jeden anderen – ob Mensch oder Tier – scheinbar grundlos attackieren wollte. Sich mit ihr an der Leine auf einen entspannten Spaziergang zu begeben, war – ihren Worten nach – schlichtweg zu einem nicht zu beherrschenden Unterfangen geworden. Und es hätten sich bereits mehrere Experten an diesem Problem „die Zähne ausgebissen“. Ein Hundetrainer habe sogar fairerweise sein Geld zurückgegeben, weil er ihren „Fall“ – zumindest aus seiner Sicht – als aussichtslos und nicht therapierbar einschätzte und der Kundin obendrein noch prophezeite, dass die Erziehung dieser Bestie ein Ding der Unmöglichkeit sei. Dieser Hund werde niemals andere Wesen in seiner Nähe tolerieren, so seine Aussage.
Meine Frage, was denn die Hundeschulen, besser gesagt Hundetrainer(innen), als Erziehungsversuche praktiziert hätten, beantwortete sie sinngemäß: „Na was wohl; immer wenn die Hündin auf irgendwas oder irgendjemanden reagierte, lockte man sie mit einem Leckerli, um sie abzulenken.“
Abgesehen davon, dass wir das „Problem“ relativ schnell aus der Welt geschafft hatten und ihr Vierbeiner bereits eine halbe Stunde später völlig entspannt an Frauchens Seite lief, bleibt die Frage nach dem Warum. Warum scheitern Hundetrainer an der Erziehung eines Hundes? Nicht an seiner Ausbildung; das ist damit nicht gemeint; sondern ausschließlich an der Erziehung. Denn nichts anderes ist die Beseitigung der Leinenaggression. Es ist auffallend, dass insbesondere das Zerren oder das aggressive Verhalten an der Leine den Hundetrainer(innen) so viele Probleme bereiten.
Die wichtigste Antwort auf diese Frage habe ich in meinem zweiten Buch DIE ERZIEHUNG VERHALTENSAUFFÄLLIGER HUNDE UND DIE GRÜNDE IHRES SCHEITERNS zur Kernaussage gemacht. Ich sehe den Hauptgrund nämlich im Anthropomorphismus und all seinen Folgen. Warum, habe ich ausführlich in dem Buch erläutert. Aber ich habe mich auch umfänglich dazu geäußert, warum alle Methoden der Belohnung, wie beispielsweise das Reichen von Futter oder Leckerli, zur Erziehung von Hunden zum Scheitern verurteilt sind. Es käme doch auch kein vernunftbegabter Mensch auf die Idee, ein unerzogenes Kind mittels einer Tüte Bonbons davon abbringen zu wollen, zumindest nicht nachhaltig, ständig andere Kinder zu verprügeln.
Und ein Phänomen, was mich in dem Zusammenhang bewegt, ist die vielfache Ablehnung meiner Aussagen zu den Ursachen, warum ein Leckerli kein geeignetes Erziehungsmittel ist, obwohl eigentlich der gesunde Menschenverstand mir recht geben sollte.
Und damit bin ich bei meiner oben verwendeten metaphorischen Assoziation zu Einstein – zugegeben, eine etwas übertriebene. Aber was mich auf diese Metapher brachte, ist der Unterschied zwischen meinen Thesen und denen Einsteins – abgesehen selbstredend von ihrer Bedeutung: Nämlich ihre Nachvollziehbarkeit mit dem gesunden Menschenverstand. Anders als bei seinen Relativitätstheorien sollte “Otto Normalverbraucher” meine Begründungen doch eigentlich verstehen und akzeptieren können, denn sie sollten mit gesundem Menschenverstand nachzuempfinden sein.
Dass das bei der Relativitätstheorie (bleiben wir der Einfachheit halber bei der speziellen) nicht der Fall ist, müssen sogar Experten eingestehen, denn die darin getroffenen Aussagen widersprechen den Alltagserfahrungen des Menschen und sind deshalb so schwer zu akzeptieren.
Denn wie soll es sich „Otto Normalverbraucher“ beispielsweise erschließen, dass die Lichtgeschwindigkeit unter allen Umständen eine Konstante ist, selbst wenn sich die Lichtquelle bewegt? Das widerspricht unseren alltäglichen Beobachtungen:
Denn stellen Sie sich vor, Sie stünden an einem Bahnübergang und würden einen Mann beobachten, der auf einem Wagon eines vorbeifahrenden Güterzuges stünde und genau in diesem Moment, wenn er Ihren Standort passiere, einen Ball in Fahrtrichtung, also in Richtung der Lokomotive werfen. (Zugegeben, das wäre auch nicht gerade eine Alltagserfahrung; aber ich denke, soviel Phantasie sollte erlaubt sein.) Und nehmen wir an, der Zug führe mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h an Ihnen vorbei und der Ball würde von dem Mann auf 30 km/h beschleunigt worden sein. Dann würde der Mann selbst seinen geworfenen Ball mit 30 km/h von sich davonfliegen sehen; aber Sie, die das Schauspiel aus Ihrer Position stehend am Bahnübergang beobachten, würden seinen Ball mit 70 km/h durch die Luft sausen sehen. Warum? Weil sich die Geschwindigkeiten addieren.
Das ist das, was uns die Alltagserfahrung lehrt und uns deshalb der gesunde Menschenverstand nachvollziehen lässt. Aber Einstein kam zu dem Schluss, dass diese Beobachtung nicht für die Geschwindigkeit eines Lichtphotons zutreffen könne. Das Licht breite sich nämlich unabhängig von der Bewegung der Lichtquelle (oder des Beobachters) immer mit einer Geschwindigkeit von 300 000 km/s aus, denn sie kann nicht übertroffen werden. Und wenn er recht hat, kommt man nicht umhin, zu akzeptieren, dass die Dimension Länge sich komprimieren und die Dimension Zeit sich dehnen können müssen.
Warum? Machen wir uns dazu mal den Spaß eines Gedankenspiels und ersetzen den Ball durch ein Lichtphoton und lassen den Güterzug so lang sein wie die Entfernung zwischen Sonne und Erde (150 000 000 km) und ihn mit einer Geschwindigkeit von beispielsweise 160 000 km/s an uns vorbeirasen. Und nehmen wir an, der Mann stünde auf dem letzten Wagon und schicke dem Lokomotivführer mit einer Taschenlampe ein Lichtsignal. Dann würde der Mann mit der Lampe das Lichtphoton aus seiner Lampe mit 300 000 km/s davoneilen sehen und der Lokomotivführer selbiges nach 8 Minuten erblicken. Wir als Beobachter des Spektakels würden dies aber nicht bestätigen. Denn wir hätten beobachtet, dass das Lichtphoton auch mit 300 000 km/s in Richtung Lokomotivführer geeilt ist, aber erst nach 9,5 Minuten selbigen erreicht hat, denn das Licht musste ja aus unserer Perspektive eine viel größere Strecke als 150 000 000 km absolvieren, weil die Lokomotive sich ja mit 160 000 km/s von der Lichtquelle entfernt hatte, wo sie sich befand, als sie eingeschaltet wurde.
Wie kann das sein? Mit logischem Menschenverstand ist das jedenfalls nicht nachvollziehbar.
Das Phänomen lässt sich nur so erklären, dass die Uhr des Lokomotivführers diesmal etwas langsamer gegangen sein und die Länge des Güterzuges sich etwas verringert haben müssen, damit das Licht nach seiner Zeitmessung auch nach 8 Minuten ankommen konnte. Allerdings würden die beiden Typen auf dem Güterzug uns dies nicht bestätigen. Auch nicht, dass sie beide währenddessen etwas langsamer gealtert sind.
Irre, oder?
Aber ist ein solch komplexes Verständnis physikalischer und mathematischer Logik auch für das Verstehen einer These der Hundeerziehung notwendig? Ich denke doch wohl nicht. Um meine Thesen zu verstehen, bedarf es zwar auch ein wenig physikalischer Grundkenntnisse; aber dazu reicht das Wissen der allgemeinen Schulbildung aus. Es genügt nämlich, sich daran erinnern zu können, dass der Physiklehrer gesagt und in seinen Versuchen bewiesen hatte, dass eine Wirkung immer auch eine Ursache hat und umgekehrt, genannt Kausalität.
Und wenn man dann noch akzeptiert, dass in unserem Kontext das Machogehabe eines an der Leine zerrenden Rambos die Wirkung repräsentiert, muss man nur noch herausfinden, was dafür die Ursache sein könnte. Und wenn man dann die Ursache entdeckt hat, sollte es auch mit gesundem Menschenverstand relativ leicht nachvollziehbar sein, dass durch deren Beseitigung auch die Wirkung beseitigt sein muss.
Mit anderen Worten, wenn man nicht mehr will, dass der Hund an der Leine den Macho oder sonst wie verrücktspielt, muss man ihm den Grund (also die Ursache) für sein unerwünschtes Verhalten nehmen.
Und wenn meine KundInnen mich fragen, was denn die Ursache für das Leinenrambogehabe ihrer Schützlinge sein könnte, verweise ich sie immer auf die Grundbedürfnisse des Hundes. Zu diesen zählt nämlich das Bedürfnis nach Sicherheit, welches der Hund stets und ständig befriedigt wissen will. Das heißt, dieses stets zu befriedigende Sicherheitsbedürfnis führt dazu, dass er ständig seine physische Unversehrtheit zu beschützen versucht. Was übrigens bereits unsere Vorfahren wussten und im Rahmen der Domestikation des Hundes ganz geschickt ausnutzten, um nicht nur sich selbst, sondern ihr Hab und Gut, Kind und Kegel durch den Hund gleich mit beschützen zu lassen. Indem der Hund quasi selbst für seine Sicherheit sorgte, sorgte er gleichsam für die Unversehrtheit aller ihm anvertrauten Wesen und Ressourcen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Und wenn man heute einen Hund nicht ganz bewusst von der sich aus dieser ihm immer noch wesenseigenen Veranlagung zum Beschützen und der sich daraus ergebenden Verantwortung entbindet, wird er dieser auch immer noch gerecht werden wollen. Dazu muss man ihm diese noch nicht einmal bewusst übertragen. Der Hund übernimmt quasi durch seine Veranlagungen grundsätzlich die Verantwortung für die Sicherheit alles ihm Anvertrautem. Und zur Wahrnehmung dieser Verantwortung gehört, dass er ständig versucht, die Umgebung nach Gefahren aufzuklären, um alle potentiellen Feinde abwehren oder verjagen zu können. Das einzige, was seinen Aufklärungs-Aktionsradius einschränkt, ist die für ihn, zumindest aus seiner Sicht, immer viel zu kurze Leine, denn er würde Bedrohungen lieber schon viel weiter voraus erkunden.
Also sollte es doch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar sein, wenn ich behaupte – und nichts anderes tue ich in meinen Beiträgen – dass man einen Hund nur dann nachhaltig von seinem Leinenrambogehabe abbringen kann, wenn man ihm den Grund, also seine Verantwortung für die Sicherheit, nimmt.
Gleichsam sollte man aber auch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen können, wenn ich immer wieder kritisiere, dass man den Grund nicht beseitigen kann, indem man dem Hund ein Leckerli vor die Nase hält. Das scheint aber eine Standardmethode der Hundetrainer zu sein, um einen Hund von seinem unerwünschten Verhalten abbringen zu wollen. Auch wenn man mit einem noch so leckeren Leckerli um seine Aufmerksamkeit buhlt; der Grund für seine Leinenaggressionen bleibt davon unberührt und latent weiterhin vorhanden. Das Reichen von Leckerli ist nichts anderes als der Versuch der Ablenkung; vergleichbar mit dem, was ein kleines und naives Kind in Gefahrensituationen scheinbar erfolgreich praktiziert. Es hält sich die Augen zu und lenkt sich ab; und meint, die Gefahr sei verschwunden. Was es nicht mehr sieht, ist nicht mehr da. Aber ist die Gefahr deshalb gebannt?
Also, und das sollte einfacher zu verstehen sein als die Relativitätstheorie: Falls jemand einen solchen „Helden“ sein Eigen nennt, empfehle ich, sich nicht die „Augen zuzuhalten“, sondern ihn von seiner Verantwortung für die Sicherheit zu entbinden und statt seiner diese zu übernehmen.
Wie, das zeige ich jedem gerne im Rahmen eines einzigen Trainings.
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