oder
Warum muss das erst ein Kriminalromanautor verkünden?
Hin und wieder sprechen mich KundInnen auf meine Fachbeiträge an und fragen auch schon mal, was eigentlich der Anlass für mein Schreiben bzw. was mein Motiv sei, solche Beiträge zu veröffentlichen?
Ich gebe dann immer zwei Gründe an, die mich seinerzeit motiviert haben, und dies bis heute tun, mein Wissen kundzutun:
Zum einen waren es die in der Vergangenheit auffallend zunehmenden Fälle, in denen mich enttäuschte und nicht selten nahezu verzweifelte HundehalterInnen ansprachen (manchmal nannten sie es sogar ihren letzten Versuch, den sie noch wagen wollten), mit der Bitte, ihnen vielleicht doch noch helfen zu können, ihren Hund von seinen „Macken“ zu befreien. Mit letzteren meinten sie alle unerwünschten und störenden Verhaltensweisen ihrer Lieblinge wie beispielsweise das Zerren an der Leine; Verbellen aller Wesen und Objekte, die sich ihnen näherten; Jagen und alle Arten von Aggressionen bis hin zu Beißattackten gegenüber Mensch und Tier. Es ging also nicht darum, dass ihre Vierbeiner irgendein Kommando wie Sitz, Platz & Co. nicht befolgten. Vielmehr beklagten sie, dass ein gemeinsames entspannten Zusammenleben nahezu unmöglich sei. Und alle diese HundehalterInnen hatten zuvor nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von erfolglosen Hundeschulbesuchen hinter sich gebracht.
Und zum anderen motivierte mich in diesem Kontext natürlich, die Ursachen des Scheiterns zu analysieren und zu erklären, warum so viele Hundeschulen bei der Erziehung sogenannterverhaltensauffälliger Hunde keinen Erfolg haben (mit dem Adjektiv sogenannter will ich andeuten, dass es sich in der Regel – außer in pathologisch bedingten Fällen – nicht um echte Verhaltensauffälligkeiten handelt, sondern in Wirklichkeit um ein völlig natürliches Verhalten, welches allerdings durch die Neigung des Menschen zum Anthropomorphisieren falsch interpretiert oder die sie auslösende Ursache nicht wirklich erkannt wird). Dazu habe ich mir in der Regel von den HalterInnen die Inhalte und Methoden der von ihnen besuchten Trainings schildern lassen; auch um zunächst herauszufinden, ob das Scheitern tatsächlich in den gemachten Fehlern der Hundeschulen zu suchen ist oder sich nicht eher in einer mangelnden Compliance der HalterInnen wiederfindet. Jedoch in fast allen Fällen musste ich zu dem Schluss kommen, dass nicht die mangelnde Therapietreue von Frauchen oder Herrchen die Crux war, sondern tatsächlich die mangelhafte fachliche Kompetenz der TrainerInnen.
Somit sah ich mich motiviert, all diesen enttäuschten und verzweifelten Menschen nicht nur eine Stimme zu geben, sondern auch die Ursachen ihres Schicksals zu benennen und eine Lösung zu beschreiben, wie Hunde, die bisher nicht in einen solchen Genuss gekommen sind, relativ schnell und unkompliziert erzogen werden können.
Ich habe in zwei Büchern nicht nur die Grundsätze meines Trainingsansatzes beschrieben, sondern auch – unter Bezugnahme sowohl auf wissenschaftlich als auch empirisch gewonnene Erkenntnisse – versucht nachzuweisen, dass einige theoretische Ansätze der Hundeerziehung, die heute zu gerne als modern deklariert werden, aus meiner Sicht schlichtweg falsch und zum Scheitern verurteilt sind.
Eine der wesentlichen Irrtümer besteht heute nämlich darin, einen Erziehungssachverhalt mit einem Ausbildungssachverhalt zu verwechseln oder deren Unterschied nicht zu realisieren, wodurch es dann geradezu zwangsläufig zur Wahl eines falschen Mittels kommt. So wird beispielsweise sehr häufig der zweifelhafte Versuch unternommen, einen Hund mit Hilfe eines zu seiner Erziehung ungeeigneten Mittels der Ausbildung sozialisieren zu wollen. Ausbildung und Erziehung bzw. Sozialisierung sind jedoch zwei völlig verschiedene Dinge, die auch die Anwendung völlig verschiedener Methoden des Trainings erfordert. Befördert wird diese Misere dadurch, dass mit dem angewendeten Mittel (in der Regel das der Konditionierung) in der Ausbildung sogar sehr gute Ergebnisse erzielt werden und diese Erfolge dazu verleiten, gleiches auch in der Erziehung tun zu können. Wenn dann durch die HundetrainerInnen das Erziehungsproblem nicht als ein solches erkannt und stattdessen als ein Ausbildungsproblem fehldiagnostiziert wird, kommt es zwangsläufig zur Wahl des falschen Mittels. Denn wie sagt man so treffend? Wer nur einen Hammer besitzt, neigt dazu, in jedem Problem einen Nagel zu sehen.
Die Leidtragenden sind nicht nur die verzweifelten HundehalterInnen, die diesen Irrtum nicht nur mit einem erheblichen und unnützen finanziellen Aufwand bezahlen, sondern ebenso die gestressten Hunde. Denn sie werden durch diesen Dilettantismus in erhebliche Konflikte gebracht, die sich nicht selten in pathologischen Befunden manifestieren; beispielsweise in Haut- und Fellproblemen.
Bedauerlicherweise werden falsche oder zumindest fragwürdige Theorien und Trainingsmethoden oftmals als Axiome maskiert, so dass der Laie zwangsläufig dazu neigt, von ihrer unzweifelhaften Richtigkeit auszugehen. Hinzu kommt, dass sie, sollten sie sogar in der Ausbildung von HundetrainerInnen gelehrt werden, über einen ungeheuren Multiplikator verfügen und dadurch wiederum eine enorme Resistenz gegen Kritik bzw. Falsifikation entwickeln. Ich merke dies immer sofort in einem regelrechten Shitstorm an unsachlichen Kommentaren, den meine kritischen Fachbeiträge auslösen. In einigen Fällen konnte ich sogar nachweisen, dass die VerfasserInnen solcher meistens ohne ein einziges vernünftiges Gegenargument formulierten Kommentare stellvertretend und im Auftrag von betroffenen Hundeschulen ihren Frust ablassen, weil letztere sich offensichtlich nicht zu erkennen geben wollen. Und nicht zu vergessen ist der manifestierende Effekt des ständigen Wiederholens falscher Maxime. Wenn beispielsweise immer und immer wieder das Mittel der Konditionierung als eine Art Allzweckwaffe litaniert wird – wenn auch in einem immer mal wieder neuen Kleid mit sehr markigen und einprägsamen Begrifflichkeiten (Stichwort Anker- oder Markertraining) –, bleibt die Entwicklung eines kritischen Geistes, der eigentlich zur Falsifikation jeglicher Theorien verpflichtet, auf der Strecke. Gerade der Trick mit der Wahl markiger Begrifflichkeiten für etwas, was im Grunde genommen schlicht oder gar unsinnig ist, wird zu gerne angewendet, um dem Ganzen eine gewisse Bedeutsamkeit oder Wichtigkeit zu verleihen; auch um jeglichen Zweifel an der Richtigkeit schon im Keim zu ersticken. Da trifft man schon mal auf sehr irrwitzige Formulierungskünste wie beispielsweise: „Der doppelte Rückruf unter Verwendung eines im zweiten Rückruf enthaltenen Ankers.“ Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der sogenannte Anker jedoch als schnödes Leckerli, was dem “Azubi” vor die Nase gehalten wird.
Aber man kann das Ding drehen wie man will: Die Erziehung, die, wie die korrekte Definition lautet, eine Veränderung des Dispositionsgefüges des Edukanden ist, also die verändernde Einflussnahme auf die Veranlagungen eines zu Erziehenden, bedarf nun mal anderer Methoden als die der Konditionierung wie sie für die Ausbildung typisch und auch angebracht sind. Denn ein Dispositionsgefüge nachhaltig verändern zu wollen, bedarf der Veränderung der Motive. Beim Menschen bedient man sich u.a. der verbalen Argumentation, um eine Veränderung der Einstellungen mit dem Ergebnis der Einsicht des Edukanden zu erreichen. Beim Tier funktioniert dies bekanntlich aufgrund des Fehlens der Sprache nicht. Hier muss man den Umweg über die Manipulation der Bedürfnisse gehen. Dabei spielt jenes nach Sicherheit die entscheidende Rolle. Und da alle, ausnahmslos alle, sogenannten Verhaltensauffälligkeiten (mit Einschränkungen des Jagens) in seinem Bedürfnis zur Befriedigung seiner Sicherheit bzw. die von Frauchen oder einer Ressource, die ihm anvertraut wurde, begründet ist, muss man einen Hund, der erzogen werden soll, von seiner Verantwortung für diese Sicherheit entbinden. Nichts anderes ist seine Erziehung. Das gelingt freilich nicht, indem man ihm ein Leckerli verspricht. Letzteres würde ihn vielleicht, wenn es in seiner Verlockung stark genug sein sollte und den Reiz zur Befriedigung seines Sicherheitsbedürfnisses tatsächlich überlagert, temporär erfolgreich ablenken. Bekanntlich riskiert ein Hund für Nahrung sogar Kopf und Kragen; aber nachhaltig umerziehen wird man einen Hund mit einem Ablenkungsmanöver, und sollte man es noch so oft repetieren, nie und nimmer.
Umso verwunderlicher ist es dann, wenn sogar vermeintliche Laien das offensichtlich Falsche an solchen Standardtheorien erkennen. So las kürzlich meine Frau, getreu Bill Ramseys „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, neben mir liegend einen Kriminalroman von Michael Frey und fing plötzlich an, schallend zu lachen. Provoziert wahrscheinlich durch meine trottelige Verdutztheit steigerte sich ihr Lachen noch, bis endlich sie mir, wieder zu Luft gekommen, nahelegen konnte, mir unbedingt das Vergnügen zu gönnen, einmal dieses Buch zu lesen, denn der Autor beschreibe genau das, was ich in meinen Artikeln an den zum Scheitern verurteilten Methoden des Hundetrainings immer zu kritisieren versuche. Auf meine Frage, ob der Autor denn Hundetrainer oder sonst wie qualifiziert sei, antwortete sie mit einem „nur bedingt“; er sei zwar laut seiner auf dem Cover zu lesenden Biografie Besitzer zweier Hunde, aber beruflich als Werbetexter tätig. Was die Sache für mich umso reizvoller machte. Denn wenn schon ein schreibender Laie das Falsche erkennt, warum dann nicht all die vielen vermeintlichen Fachleute? Und dann las mir meine Frau zu meinem Vergnügen, quasi als Beleg, einen Passus vor, in dem der Autor einen Hundetrainer namens Wolf zu Worte kommen lässt (das spätere Mordopfer, das offensichtlich nicht nur ein überheblicher Macho zu seien scheint, sondern offensichtlich auch allerhand Dreck am Stecken hat und deshalb von einem auf ihn angesetzten Privatdetektiv namens Hartmann mit samt eines vom Tierheim für seine Legende geborgten Hundes, der einige rüpelhafte Angewohnheiten besitzt, aufgesucht wird, um zum Schein Hilfe bei der Erziehung desselben zu erbeten) und der, wie man gleich hören wird, nicht nur einen rauen Ton an den Tag legt, sondern gerne von sich selbst auch mal in der dritten Person zu sprechen pflegt:
„‘Führung statt Mimimi ist unser Motto‘, dröhnte Wolf. ‚Führung ist das A und O in der Hundeerziehung. Wer nicht führt verliert. Der Alpha ist der Chef! Sie brauchen dieses gewisse Etwas, Herr Hartmann, sonst wird das nichts. Sonst macht der Hund den Molli mit Ihnen. Egal wie klein er ist. Ich habe schon Chihuahuas erlebt, die den Vorstand eines Dax-Konzerns fest im Griff hatten. Der schmiss problemlos einen Laden mit hunderttausend Mitarbeitern und wurde zu Hause jedes Mall von seiner Fußhupe ins Bein gebissen, wenn er an den Kühlschrank wollte. Wenn Sie kein Charisma haben, bringe ich es Ihnen bei. Körpersprache, sage ich nur. Sie können Ihrem Hund natürlich auch eine Bratwurst vor die Nase halten. Für Bratwurst machen Hunde alles. Die sind relativ einfach gestrickt, die Viecher. Aber hat man immer, wenn es heikel wird, eine Bratwurst in der Tasche, fragt der Wolf. Nein, sagt der Wolf…‘“
„…‘Aber um den Gedanken zu Ende zu bringen. Was macht man, wenn man eine Bratwurst braucht und keine hat? Eben. Nichts! Zero! Niente! Da kackt man ab. Direkt neben dem Hund kackt man da ab. Genau darum gibt es beim Wolf keine Erziehung durch Bestechung, kein Konditionieren durch Leckerchen und ähnlichen Unfug. Kristallklare Führung ist angesagt. Trauen Sie sich das zu?“‘
Wenn also schon ein vermeintlicher Laie – ohne seine sicherlich langjährigen Erfahrungen mit Hunden kleinzureden – es als Unfug thematisiert, einen unerzogenen Hund mittels Konditionierung durch Leckerchen von seinem rüpelhaften Verhalten abbringen zu wollen, frage ich mich, warum haben so viele Fachleute mit diesem Verständnis offensichtlich nach wie vor ihre Schwierigkeiten?
105. Der „differenzierte Beschützerinstinkt“ eines Hundes
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104. Warum Hundetrainer oftmals bei der Erziehung versagen
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