Oder wenn man als Hundetrainer sogar in der Fachwelt aneckt
Kürzlich lud mich ein Journalist der Schweriner Volkszeitung zu einem Kurzporträt ein und beschrieb mich in seinem Artikel als das „komplette Gegenteil von Deutschlands bekanntestem Hundeprofi Martin Rütter“. Damit spielte er zwar anfänglich auf unsere äußerliche Erscheinung und unsere öffentliche Wahrnehmung an, denn ich bin nun mal nicht auf Bühnen und in Fernseh-Shows zu Hause, sondern auf der Straße. Aber er kam dann auch zu dem eigentlichen uns unterscheidenden Merkmal: Die Klientel, die wir jeweils betreuen.
Und das sollten meine Kritiker auch immer bedenken, wenn sie meine Fachartikel oder Beiträge, die ich im Netz veröffentliche, kritisieren. Ich gebe nun mal in keinen „Fernseh-Shows … auf amüsante Weise Tipps für den Umgang mit kläffenden Hunden“ – wie es der Journalist formuliert –, sondern muss mich auf meinen Touren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz mit Tieren befassen, „die für die Halter zum Problem wurden“ – so der Journalist weiter. Und diese Problemfälle sind oftmals sehr ernster Natur und befinden sich unter Umständen schon im Fokus der Amtstierärzte.
Dabei geht es bei weitem nicht nur um das an der Leine zerrende Monster oder die alles und jeden verbellende Nervensäge. In den meisten Fällen handelt es sich vielmehr um Hunde mit einem hohen Aggressionspotential; und das nicht nur gegenüber ihren Artgenossen, sondern auch gegenüber Menschen. Nicht selten sind dabei Beißattacken mit teilweise schweren Folgen zu beklagen. Und besonders dramatisch sind die Fälle, wenn Kinder dabei die Opfer sind.
Bei ausnahmslos allen dieser Problemfälle handelt es sich um Hunde, denen keine Erziehung zuteilgeworden ist.
Man sollte doch eigentlich vermuten, wenn es in Deutschland weit über 2.000 eingetragene Hundeschulen gibt (die tatsächliche Anzahl dürfte noch weit höher liegen) und sie alle sich über gute Kundenzahlen freuen, dass dann unerzogene Hunde in der Öffentlichkeit die Ausnahme sein müssten. Aber weit gefehlt. Meine Alltagserfahrung belegt das genaue Gegenteil:
Die Mehrheit aller Haushunde ist definitiv nicht erzogen.
Sie haben zwar alle, wenn sie durch die Hände einer Hundeschule gegangen sind, in der Regel eine gute Ausbildung genossen; d.h. sie beherrschen das Hinsetzen und Platzen auf Kommando recht ordentlich. Sie können auch wunderbar Männchen machen, Purzelbäume schlagen oder sich an jedem Bordstein hinsetzen, bevor sie die Straße überqueren (wozu auch immer). Aber erzogen sind sie in den meisten Fällen nicht.
Warum scheitern so viele Hundeschulen daran, Hunde zu erziehen?
Nach wie vor wird der Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung eines Hundes nicht beachtet oder wahrscheinlich gar nicht erst als solcher erkannt. Meine Vermutung ist sogar, dass in der Ausbildung von Hundetrainern dies entweder gar nicht thematisiert wird oder zumindest nicht mit der Intensität behandelt wird, dass es eine nachhaltige Erkenntnis bei den Eleven hinterlassen würde. Zu dieser Vermutung muss ich zwangsläufig kommen, wenn ich die Kommentare lese, die auch von HundetrainerInnen (oder stellvertretend in ihrem Auftrag durch Strohmänner oder -frauen) auf meine Beiträge geschrieben werden; oder wenn ich die Aussagen sogar von namhaften HundetrainerInnen in Medien höre. Eine Kundin machte mich beispielsweise darauf aufmerksam, dass sie beim „ergoogeln“ meines Namens sogar ein Forum entdeckt habe, in dem sich die fragwürdige Mühe gemacht werde, meine Beiträge, in denen ich den Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung thematisiere, mit haarsträubenden Behauptungen und fragwürdigen Unterstellungen zu widerlegen. Dabei werde noch nicht einmal der Versuch unternommen, meine Argumentationen mit sachlichen oder nachvollziehbaren Gegenargumenten zu widerlegen, sondern ausschließlich als falsch und unsinnig abgelehnt. Demnach wird der Unterschied zwischen der Ausbildung und der Erziehung des Hundes nicht nur nicht erkannt, sondern sogar willentlich nicht zur Kenntnis genommen oder gar verneint.
Warum ist das so?
Der momentane Trend in den verbalen Äußerungen von HundetrainerInnen zum Umgang mit Hunden ist unüberhörbar: „Seien Sie lieb zu Ihrem Hund“.
Alle Botschaften, die die Tierliebe und die Achtung vor der Kreatur Tier zum Inhalt haben, sind hoch in Mode. Solche Botschaften wie „Beziehung statt Erziehung“ oder, wenn schon der Begriff „Erziehung“ benutzt wird, dann nur in Verbindung mit solchen Begrifflichkeiten wie „positive Bestärkung“, sind stark im Trend beim Buhlen um jeden zahlenden Kunden. Vor dem Hintergrund solcher Szenarien wie Massentierhaltung und Tierquälerei in rumänischen Tierheimen lässt sich der Laie natürlich zu leicht mit wohlklingenden und seine tierliebende Seele schmeichelnde Äußerungen wie „Gewalt und Strenge in der Hundeerziehung lehne ich ab“ einlullen und in eine Hundeschule locken. Denn das schafft Vertrauen.
Das Ganze wird natürlich noch befördert dadurch, dass der Mensch durch seinen ihm wesenseigenen Anthropomorphismus (Vermenschlichung anderer Wesen und Gegenständen) ohnehin dazu neigt, in einem Hund ein kleines Kind zu sehen. Dadurch neigt das Unterbewusstsein dazu, empfänglich zu sein für alle Antagonismen von Strenge und Konsequenz.
Aussagen im Kontext der Hundeerziehung wie „konsequente oder energische Korrektur“ klingen deshalb natürlich unangenehm und oberflächlich hingehört abschreckend. Allein schon der Begriff „Erziehung“ ist negativ besetzt. Das klingt nach „Rohrstock“ und „Zuckerbrot und Peitsche“.
„Seien Sie lieb zu Ihrem Hund“ klingt in den Ohren des Kunden, der sich einen Hund als sozialen Ersatzpartner anschafft, logischerweise sehr viel verlockender. Das hat etwas von Gleichberechtigung und passt wunderbar in das verklärte Bild eines familientauglichen Sozialpartners, mit dem sich wunderbar kuscheln lässt.
Aber sieht die Realität aus Sicht des Hundes auch so aus?
Nein! Definitiv nicht! Der Hund ist nicht ein mit uns auf Augenhöhe agierender Partner. Er will es auch gar nicht sein. Dann hätte die über 30.000 Jahre andauernde Domestikation anders verlaufen müssen. Der Hund ist vielmehr ein uns dienen wollender Befehlsempfänger, der es seit Jahrtausenden gewohnt ist, mit uns auf die Jagd zu gehen und sich und uns zu beschützen und für unsere gemeinsame Sicherheit zu sorgen. Von dem sich dadurch bei ihm entwickelten Dispositionsgefüge weichen nur verhältnismäßig wenige Zuchtlinien ab. Aber ausnahmslos alle domestizierten Haushunde, die heute den HundebesitzerInnen Probleme – wie zuvor beschrieben – bereiten, haben die Veranlagungen zur Übernahme dieser Verantwortung. Ein Beweis dafür ist ihr Verhalten. Ansonsten würden sie sich nicht so verhalten wie sie sich verhalten. Alle vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten sind begründet in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ihre eigene Sicherheit und die der ihnen anvertrauten Personen und Ressourcen.
Nicht nur, wer sich einen Rottweiler, Schäferhund oder Bullmastiff zulegt, sollte wissen, dass diese Hunde über einen Beschützerinstinkt verfügen. Auch viele andere Rassen – die zwar kuschelig anzuschauen sind – haben es in ihren Veranlagungen, selbstständig die Verantwortung für ihre Sicherheit und die Sicherheit aller ihnen anvertrauten Personen und Ressourcen zu übernehmen. Daraus ergibt sich auch, dass andere Hunde für sie immer Rivalen, Konkurrenten oder sogar Feinde sind. Hunde stören andere Hunde, solange sie diese Verantwortung tragen. Und alles, was sie dann aus dieser Verantwortung heraus tun, ist aus ihrer Sicht völlig normal. Nur der Mensch, der diese Kausalität zwischen Verantwortung und Beschützer-Verhalten nicht erkennt – oder wie ich gerade erwähnt habe, gar nicht erkennen will –, interpretiert es fälschlicherweise als Verhaltensauffälligkeit, die durch Konditionierung beseitigt werden könne. Letzteres ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Man kann keinen Hund von seiner Verantwortung entbinden, indem man ihm ein Leckerli vor die Nase hält oder sonst wie manipuliert oder dressiert. Damit lässt er sich zwar kurzfristig ablenken, aber nichts an seinem Dispositionsgefüge ändern.
Die Konsequenz daraus lautet: Wer sich ein mit diesen Veranlagungen ausgestattetes Tier anschafft, jedoch gar keinen Beschützer an seiner Seite wünscht, sondern einen familientauglichen Kuschelpartner, mit dem möglichst noch an vielen Hundetreffen teilgenommen werden soll, muss seinen Hund von der Verantwortung für beider Sicherheit entbinden.
Und das nennt sich „Erziehung“! Das hat aber mit einer Ausbildung, die durch Konditionierung mittels “süßer” Leckerli durchaus und erfolgreich funktioniert, nichts, rein gar nichts zu tun. Wie eine Erziehung stattdessen gelingt, zeige ich jedem Betroffenen gerne. Ein Anruf genügt. Denn ich bin – wie der Journalist auch beschrieben hat – zwei Wochen pro Monat in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour und deshalb meistens in Ihrer Nähe.
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