Oder was ist ein Oxymoron?
Zugegeben, nachdem ich in einer Publikation auf diesen Begriff gestoßen war, musste ich auch erst – wie wahrscheinlich jeder, der nicht zufällig Kenner aller rhetorischen Stilmittel ist – das allwissende Google befragen. Und wie zu erwarten, es klärte mich auch sofort und hinreichend auf: Oxymoron (Plural Oxymora) ist „…eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen“, Phrasen oder Satzteilen. Und es wurden auch gleich ein paar Beispiele mitgeliefert: „Alter Knabe“, „dunkel war’s, der Mond schien helle“ oder „stummer Schrei“.
Aber warum erwähne ich das hier?
Weil mir bei der Lektüre eine Parallele zu meinen Themen in den Sinn kam, die ich sowohl in meinen Büchern als auch hier immer wieder anspreche: Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde und die Gründe ihres Scheiterns. Insbesondere sind es die Gründe ihres Scheiterns, die mich immer wieder aufs Neue reizen, zur „Feder“ zu greifen. Zwar nicht mit der Absicht – wie man mir einmal unterstellte –, Hundeschulen oder HundetrainerInnen diffamieren oder mich auf deren Kosten profilieren zu wollen. Nein, vielmehr aus einem Grund, mit dem ich alltäglich konfrontiert werde:
Ich werde nämlich nach wie vor nahezu ausschließlich von enttäuschten, resignierten oder gar verzweifelten Hundehalterinnen kontaktiert und um Hilfe gebeten, deren vorherige Hilfeersuchen bei diversen Hundeschulen von keinem Erfolg gekrönt waren. Nicht etwa, weil ihre Ersuchen abgelehnt wurden. Im Gegenteil; ihnen allen wurde in Aussicht gestellt, bei ausreichend aufgebrachter Geduld und Ausdauer, das Problem lösen zu können. Jedoch scheiterten all diese gut bezahlten „Experimente“, die Delinquenten von ihrem störenden Verhalten zu befreien. Das heißt, all den HalterInnen wurde keine professionelle Hilfe zuteil, ihre vierbeinigen „Aggressoren“ oder „Rabauken“ zu erziehen. Und das, obwohl es sich bei allen Hundeschulen vermeintlich um solche handelt, die sich der Zulassung eines Amtstierarztes erfreuen.
Da ich mir in der Regel den Verlauf dieser erfolglosen Trainings schildern lasse, kommen mir mittlerweile zunehmend sogar Zweifel an der fachlichen Fundiertheit mancher Hundetrainerausbildungen. Ich weiß, dass ich mir mit dieser Einschätzung in den Fachkreisen kaum Freunde mache, wenn ich zu der Vermutung gelange, dass wahrscheinlich mit dieser Ausbildung grundsätzlich etwas schieflaufe. Denn nicht nur die fachlich fragwürdigen Methoden und Empfehlungen von Hundetrainerinnen lassen mich zu diesem Schluss kommen, sondern ebenso ihre Kommentare und Kritiken auf meine Beiträge (von denen einige übrigens, wie meine Recherchen ergaben, stellvertretend von Strohmännern oder -Frauen geschrieben wurden, wahrscheinlich um sich selbst nicht offenbaren zu müssen).
Allein schon die Tatsache, dass seitens der Hundetrainerinnen im Kontext einer erbetenen Erziehung (nicht Ausbildung!) Vokabularien wie Ausdauer und Geduld verwendet werden, regt zum Nachdenken an. Würden wir über die Ausbildung des Hundes reden, dann wäre ich sofort bei ihnen. Weil diese mit der Konditionierung identisch ist. Und die ist tatsächlich an Wiederholungen, und damit an einen gewissen Zeitbedarf, gebunden. Dann sollte man tatsächlich die HundehalterInnen auf ein mehr oder weniger geduldig zu ertragendes Prozedere einstimmen. Denn das Einüben und Beherrschen beispielsweise aller Grundkommandos benötigt nun mal Zeit. Und wenn man seinen Liebling auch noch zum Pfötchengeben oder Purzelbäume schlagen nötigen möchte, damit er sich zum Äffchen machen kann, heißt es nun mal, um mit Lenins Worten zu sprechen: Lernen, lernen und nochmals lernen.
Aber wir reden hier nicht von der Ausbildung, wenn es darum geht, einen „Aggressor“ oder „Rabauken“ von seinen „Macken“ zu befreien. Wir reden hier vielmehr ausschließlich von seiner Erziehung. Und die bedarf in der Regel keiner zeitraubenden Konditionierungsversuche.
In diesem Zusammenhang muss ich auch einem Hundetrainer aus Bad Kleinen widersprechen, der im Rahmen der Hundeerziehung von „Gewohnheiten ändern“ spricht, weshalb sie auch nicht – so wie ich behaupten würde – nur an einem Tag zu bewerkstelligen sei. Was oberflächlich hingehört sogar logisch klingt. Denn Gewohnheiten, so sie sich erst einmal eingeschliffen haben, besitzen die Eigenschaft, hartnäckig zu sein. Aber sind das, was in einer Erziehung beseitigt werden soll, tatsächlich Gewohnheiten?
Ich glaube, oder bin mir sogar sicher, wenn auch dieser Hundetrainer einen kurzen Moment innehält und darüber nachdenkt, wird auch er mir sicherlich Recht geben, dass es sich bei Aggressionen bzw. aggressiven Verhaltensweisen, die im Rahmen der Erziehung eine zentrale Rolle spielen und beseitigt werden sollen, mitnichten um Gewohnheiten handelt. Denn dann wären sie ja theoretisch das Ergebnis einer sogenannten erlernten Reiz-Verhalten-Belohnungs-Schleife. Gewohnheiten sind nämlich nichts anderes, als durch mehrere Wiederholungen, die jeweils mit Erfolg “belohnt” wurden, entstandene Routinen. Also typische Resultate von Konditionierungen.
Das trifft jedoch auf die Aggressionen bzw. aggressiven Verhaltensweisen schon deshalb nicht zu, weil diese vielmehr Bestandteile des psychologischen Dispositionsgefüges sind; also Veranlagungen, mit denen der Hund bereits auf die Welt gekommen ist. Richtigerweise spricht man deshalb im Falle der Aggressionen auch von Elementen des agonistischen Verhaltensrepertoires, zu dem auch das Schlichtungsverhalten oder Unterwerfen zählt. Sie sind bereits in seinem Genom verankert. Alle Aggressionen dienen ausschließlich der Befriedigung der Grundbedürfnisse. Situationsbedingt also der Befriedigung der Bedürfnisse nach Fortpflanzung, Stoffwechsel oder/und Sicherheit.
Anders ausgedrückt bedeutet das, dass zwischen Aggression und Bedürfnisbefriedigung ein kausaler Zusammenhang besteht. Das hat zur Folge, dass die Wirkung (in diesem Falle das aggressive Verhalten) sofort verschwindet, sowie die Ursache (in diesem Falle die Bedürfnisbefriedigung) nicht mehr existent ist. Der Zeitaufwand einer Erziehung ist demzufolge ausschließlich davon abhängig, wie lange ein Trainer benötigt, diese Kausalkette zu durchtrennen, indem er gemeinsam mit der Halterin/dem Halter dem Hund die Verantwortung für die Befriedigung seiner Bedürfnisse nimmt. Dem Hund also klar macht, dass Frauchen oder Herrchen ab sofort stets und zuverlässig für die Befriedigung seiner Bedürfnisse sorgen. Welches „Werkzeug“ (Trainingsmethode) er dazu verwendet, das ist in der Regel das Know-how des Hundetrainers.
Mein verwendetes Werkzeug jedenfalls ermutigt mich auch weiterhin zu dem Versprechen, jede sogenannte Verhaltensauffälligkeit – so sie keine neuropathologische Ursache hat – in einem einzigen Training beseitigen zu können. Nur eine Bedingung: Die anschließende Compliance (Therapietreue) der HundehalterIn.
Über diese Kausalkette von Aggressionen und Bedürfnisbefriedigung und der Tatsache, dass die aggressiven Verhaltensweisen keine Gewohnheiten sind, darf auch nicht hinwegtäuschen, dass aggressives Verhalten, wenn es stets zum Erfolg führt, vermeintlich die Bedingungen zur Erlangung einer Gewohnheit erfüllt (weil hier vermeintlich eine Reiz-Verhalten-Belohnungs-Schleife vorliege). Auch wenn der Laie landläufig sagen würde, der Hund hätte sich mittlerweile schon daran gewöhnt, durch sein aggressives Verhalten Erfolg zu haben, darf dies nicht verwechselt werden mit der wortstammgleichen Gewohnheit, die durch Wiederholungen zu einer Routine führt. Auch bei einem Hund, der beispielsweise sein Revier durch sein Gekläffe immer wieder erfolgreich vor allen Eindringlingen bewahrt, entwickelt sich dadurch keine Gewohnheit, die nur schwer und zeitaufwendig wieder „gelöscht“ werden könnte. Selbst er würde sofort und unmittelbar mit dem Gekläffe aufhören, sowie ihm die Verantwortung für das Revier und seine Sicherheit genommen werden würde, indem stattseiner Herrchen oder Frauchen diese übernehmen.
Übrigens, deshalb sollte auch ein Hundetrainer seine Wortwahl sehr exakt bedenken, um nicht selbst in seine von ihm eigenst aufgestellte kortikale Falle zu tapsen. Wenn er beispielsweise gedankenlos formuliert: „Na, das werden wir ihm schon abgewöhnen!“ Dann kann es nämlich sehr schnell passieren, dass er in dieser Falle sitzt, die ihn zu der falschen Vermutung kommen lässt, dass es sich bei dem rabaukenhaften Verhalten eines Delinquenten um eine Gewohnheit handelt. Denn die Vokabularien Gewohnheit und abgewöhnen passen so verlockend schön und einfach zusammen.
Aber zurück zu der von mir kritisierten Hundetrainerausbildung:
Wenn eine Hundetrainerin einer um Hilfe bittenden Kundin empfiehlt, ihren an der Leine zerrenden “Aggressor“ mittels Leckerli von seinem unerwünschten Verhalten abzubringen, ihn also durch Belohnung erziehen zu können, hat sie nicht nur die Kausalkette zwischen Aggressionen und Bedürfnisbefriedigung nicht verstanden, sondern noch nicht einmal den fundamentalen Unterschied zwischen der Ausbildung und der Erziehung des Hundes. Denn Erziehung mittels Belohnung wäre ein klassisches Oxymoron; also zwei Sachverhalte, die sich gegenseitig ausschließen. Man kann mit einem Leckerli einen Hund zwar konditionieren, also ausbilden; aber man kann mit einem Leckerli die Kausalkette zwischen Aggression und Bedürfnisbefriedigung nicht durchtrennen, weil man den Hund mit einem Würstchen nicht von seiner Verantwortung entbinden kann.
Und da dies offenbar ständige Praxis von Hundeschulen oder HundetrainerInnen ist – wie die Schilderungen meiner Klientel eindeutig belegen –, kommen mir arge Zweifel an der Seriosität unserer Hundetrainerausbildung. Selbst wenn solche Dinge wie die von mir erwähnte Kausalkette oder der Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung in der Hundetrainerausbildung thematisiert werden sollten, bleibt die Vermutung, dass die drei Grundprinzipien der Wissensvermittlung nicht beachtet werden, nämlich Klarheit, Verständlichkeit und Prägnanz.
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