Oder wie stoppt man das Zerren an der Leine?
Auf meinen letzten Beitrag reagierte Frau Angela H. mit einer Frage, die mich veranlasst, noch einmal – und zwar ergänzend – auf das Thema Erziehung einzugehen. Sie vervollständigte quasi mit ihrer Frage, die ich bejahen musste, meine Aussagen zu den Gründen des hündischen Zerrens an der Leine, indem sie den Gründen noch einen weiteren hinzufügte. Und zwar den Sexualtrieb eines Rüden. Das ist völlig korrekt.
Deshalb ist die Erziehung des Hundes auch nicht nur damit getan, ihn von seiner Verantwortung zu entbinden – so wie ich es als Voraussetzung zur Beseitigung des ständigen Zerrens beschrieben habe –, sondern sie verlangt ebenso nach Einschränkung seines Entscheidungsspielraumes. Das Gleiche gilt auch für den Jagdtrieb. Denn auch dieser wird nur durch eine solche Einschränkung unterdrückt; und nicht etwa, wie viele Hundetrainer es fälschlicherweise glauben lassen wollen, durch Konditionierung oder Ablenkung mittels Leckerlis.
In meinen beiden Büchern bin ich zwar auf diesen Zusammenhang ausführlich eingegangen. Da ich aber während des Schreibens meines letzten Beitrag in erster Linie die Mehrheit der Problemfälle im Hinterkopf hatte, zu denen ich in letzter Zeit gerufen wurde, hatte ich den Umstand der Läufigkeit von Hündinnen außer Acht gelassen. Dieser spielt aber tatsächlich als Grund für das Zerren an der Leine bei einem Rüden durchaus eine Rolle. Deshalb nehme ich es zum Anlass, darauf ergänzend noch einmal einzugehen.
Aus dem Kommentar bzw. der Fragestellung von Frau Angela H. ergibt sich aber noch ein weiteres interessantes Thema. Sie betonte nämlich in dem Zusammenhang, dass ihr Rüde nicht kastriert sei. Das Thema der Kastration ist insofern ein interessantes, weil ich nämlich ständig mit dieser Frage nach Sinn und Unsinn von Kastrationen konfrontiert werde. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen sind ein Großteil der verhaltensauffälligen Hunde, von deren BesitzerInnen ich gerufen und um Hilfe gebeten werde, zuvor kastriert worden. Und zum anderen wird mir die Frage, ob man seinen Hund kastrieren lassen solle oder nicht, auch direkt gestellt. (Bemerkenswert ist dabei übrigens, dass Männer der Kastration ihrer Rüden gegenüber wesentlich skeptischer – besser gesagt ablehnend – eingestellt sind. Frauen gehen offensichtlich mit der Männlichkeit ihrer Hunde wesentlich großzügiger um. Ich überlasse es mal Ihrer Fantasie, den Grund dafür zu ersinnen.) Ich werde in einem meiner nächsten Artikel auf diese Frage eingehen. Nur soviel vorweg: Man kann durch Kastration aus einem relativ harmlosen Verhaltensproblem durchaus ein ernstes machen.
Aber zurück zur Erziehung mittels Einschränkung des Entscheidungsspielraums.
Mich fragte einmal ein Journalist, ob ich so etwas wie eine Philosophie hätte, die meiner Erziehung verhaltensauffälliger Hunde zugrunde liege. Und ob man diese mit nur zwei oder drei Sätzen beschreiben könne. Ich antwortete ihm damals:
„Seit über 30.000 Jahren geht der Hund mit uns auf die Jagd und soll uns beschützen. Wenn man das nicht mehr will, muss man ihn von dieser Verantwortung entbinden. Das ist Erziehung.“
Ich hatte seinerzeit fast ausschließlich mit Hunden zu tun, die ein sehr aggressives Verhalten zeigten und für ihre Besitzer ein ernstes Problem darstellten. Es ging nicht selten – um mit Shakespeares Hamlet zu sprechen – um die Frage von Sein oder Nichtsein. Denn diese Hunde waren oftmals schon im Visier der Amtstierärzte und eine Entscheidung über ihre Zukunft stand an. Insofern war nervendes Zerren an der Leine oder unerwünschtes Jagen nur sehr eingeschränkt Gegenstand meiner Arbeit. Somit hatte ich seinerzeit, als der Journalist mich fragte, diese Fälle auch nicht im Hinterkopf.
Denn wenn wir alle sogenannten Verhaltensauffälligkeiten mit einbeziehen, zu deren Beseitigung ich heute von den Hundehalterinnen gerufen werde, hätte ich den zweiten Satz meiner Philosophie noch ergänzen müssen, nämlich um die Einschränkung des hündischen Entscheidungsspielraumes.
Damit ist gemeint, dass die Erziehung eines Hundes, falls sie überhaupt erforderlich ist, durch zwei simultane Erziehungsmaßnahmen gekennzeichnet ist:
1. Die Entbindung des Hundes von seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die Sicherheit aller ihm anvertrauten Personen und Ressourcen (die er aufgrund seiner Genetik grundsätzlich selbst übernimmt, so man dies nicht ausdrücklich unterbindet) sowie
2. die drastische Einschränkung seines Entscheidungsspielraumes.
Ob letzteres gelungen ist, zeigt sich daran, ob der Hund in Entscheidungssituationen (jagen oder nicht jagen; der läufigen Hündin nachlaufen oder nicht nachlaufen usw.) zuvor den Blickkontakt zu seiner Bezugsperson sucht, um quasi dessen Erlaubnis einzufordern.
Die von mir eingefügte Einschränkung „falls sie überhaupt erforderlich ist“ sagt nichts anderes aus, als dass die Erziehung eines Hundes, wie ich sie in den zwei Punkten beschrieben habe, nicht generell notwendig ist bzw. nicht generell beide Maßnahmen einschließt. Denn ein Hund, der heute noch seiner ihm ursprünglich zugedachten Rolle gerecht werden soll, darf entweder gar nicht erzogen werden oder nur eingeschränkt. Typisches Beispiel ist der Wachhund. Wenn man ihm die Verantwortung für die Sicherheit nähme, wäre er kein Bewacher mehr. Ein Schutzhund wiederum darf nur nach erteilter Erlaubnis seinen Job machen, ebenso wie der Jagdhund. Ihnen muss also zwingend der Entscheidungsspielraum eingeschränkt werden. Hier betreten wir allerdings das etwas komplexe Feld der Kombination aus Erziehung und Ausbildung, was an dieser Stelle aber nicht Gegenstand ist.
Kurzum, wenn ich die schlussfolgernden Kernaussagen meines letzten und dieses Beitrages einmal zusammenfassen darf:
Falls man – metaphorisch ausgedrückt – gerade nicht von seinem Hund auf einem Schlitten quer durch Sibirien gezogen werden will, sondern sein Zerren unerwünscht ist und es quasi nervt oder stört, und man wolle dieses unterbinden, sollte man sein Zerren zunächst einmal dahingehend unterscheiden, ob es sich um ein permanentes Phänomen oder nur um ein temporäres handelt. Im ersten Fall wäre die Ursache sein Beschützerinstinkt, dem er nachgehen will und von dem er demzufolge durch Entbindung von seiner Verantwortung befreit werden müsste. Das hieße, Frauchen oder Herrchen müssten an seiner statt für Sicherheit sorgen. Im zweiten Fall wären seine Triebe die Auslöser. Um aber deren Auswirkungen auf sein unerwünschtes Verhalten zu unterdrücken, müsste man ihm dies untersagen, indem man ihm seinen Entscheidungsspielraum einschränkt.
Wie das funktioniert, das zeige ich meinen KundInnen in einer einzigen Trainingseinheit.
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