oder „Wer mit der Sexualität seines Hundes nicht klarkommt, der sollte sich keinen halten!“
Im letzten Beitrag kündigte ich an, mich zum Thema Kastration zu äußern. Auch auf die Gefahr hin, für Karl Valentins Ausspruch einen weiteren Beleg zu liefern, es sei schon alles gesagt, nur noch nicht von allen; denn an Beiträgen oder Informationsquellen mangelt es diesbezüglich wahrlich nicht. Aber es drängt mich aus zweierlei Gründen, einen Kommentar zu schreiben:
Zum einen bestätigen meine Praxiserfahrungen die Erkenntnisse einer amerikanischen Studie, wonach das Mittel der Kastration nicht geeignet sei, um einen verhaltensauffälligen Hund zu „beruhigen“. Womit sich die Kastration als Mittel der Erziehung disqualifiziert hat. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass etwa die Hälfte aller Hunde, zu deren „Problembeseitigung“ ich gerufen werde, zuvor bereits kastriert wurden. Und zwar aus den gleichen Gründen, warum man mich um Hilfe gebeten hat: Zerren an der Leine, Jagen, Aggressionen aller Art bis hin zu Beißattacken usw. Ich halte die Kastration als Mittel der Erziehung für ähnlich ungeeignet wie das bei vielen Hundetrainern immer noch allseits beliebte Leckerli.
Und zum anderen werde ich sehr häufig von HundehalterInnen direkt darauf angesprochen, ob ich ihnen zum Zwecke der Beseitigung des unerwünschten Verhaltens ihrer Vierbeiner zu einer Kastration raten würde. (Bemerkenswert – weil auffallend – ist übrigens, dass mich Herrchen im Gegensatz zu Frauchen wesentlich seltener fragt). Die Frage stellt man mir wohlbemerkt, bevor wir die Hunde von ihrem Konflikt befreit haben. Den Grund erkläre ich weiter unten.
Da die KundInnen, die mir diese Frage stellen, in der Regel eine einfache und schnelle Antwort erwarten, die es aber nicht gibt, halte ich es, um überhaupt zu reagieren, zunächst mit dem österreichischen Verhaltensbiologen Prof. Kurt Kotrschal, von dem das Zitat in meiner Überschrift stammt. Was, zugegeben, ein wenig unerhört erscheint, wenn ich einer Kundin mehr oder weniger unverblümt an den Kopf werfe, sich doch keinen Hund hätte anschaffen sollen, wenn schon sein natürliches Verhalten sie störe. Aber im Kern läuft es schon darauf hinaus.
Eine leichtfertige Entscheidung zugunsten der Kastration lehne ich grundsätzlich ab. Ich spreche hier ausdrücklich nicht von der Sterilisation, sondern ausschließlich von der Kastration, also der Entnahme von Organen. Und ich spreche auch nicht von der Situation einer medizinisch klinischen Indikation, die einen Eingriff quasi alternativlos macht.
Zunächst verweise ich auf das Tierschutzgesetz § 6, mit dem der Gesetzgeber sehr hohe Hürden errichtete und es im Grunde genommen verbietet. Damit ist unzweifelhaft geklärt, dass eine Kastration zum Zwecke der Erziehung des Hundes, abgesehen von seiner Ungeeignetheit, auch unzulässig ist.
Ich rate aber, unabhängig von der Rechtslage, jedem, der mit dem Gedanken spielt, seinem Rüden die Männlichkeit oder auch der Hündin den Sexualtrieb zu nehmen, sich zuvor Rat bei Fachleuten zu holen. Aber Vorsicht, wenn der Ratgebende identisch ist mit dem, der mit der Ausführung der Kastration seinen Gewinn maximiert. Dann sollte selbst der naivste Zeitgenosse sich fragen: Cui bono?
Stattdessen gibt es eine Reihe von sehr aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen. Beispielsweise eine solche von Hart & Eckstein aus dem Jahre 1997. Eine der zentralen Erkenntnisse ist, dass bei Rüden, denen man die Männlichkeit genommen hat zwecks Eindämmung ihres aggressiven Verhaltens oder genereller Beruhigung, keine Besserung nachweisbar war. Will heißen, die juristische Unzulässigkeit wird zusätzlich gestützt durch die biologische Sinnlosigkeit. Den einzigen Effekt bezüglich des hündischen Verhaltens, den man mit einer Kastration erzielt, ist sein sexuell bedingtes Verhalten während der Läufigkeit einer Hündin einzudämmen, weil ihm das Hormon Testosteron quasi abhandengekommen ist. Wobei selbst das in der Studie nicht eindeutig belegt werden konnte, wenn der Hund beispielsweise zuvor bereits sexuelle Erfahrungen gesammelt hat. Mit anderen Worten, man würde ihm vielleicht und eventuell das sexuell bedingte temporäre Zerren an der Leine, wenn in der Nähe eine läufige Hündin herumkokettiert, wegoperieren. Aber da sollte sich jeder des Ratschlags des österreichischen Verhaltensbiologen besinnen.
Eine andere vorzügliche Ratgeberquelle ist der Endokrinologe, den auch ich mir seinerzeit auserwählte, um mir zumindest ein Grundwissen anzueignen, welches mich in die Lage versetzt, meinen KundInnen einigermaßen sachlich Antwort und Rat geben zu können. Denn die richtigen Antworten findet nur, wer zuvor das komplexe Zusammenspiel der Hormone wenigstens grundsätzlich „verstanden“ hat. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Testosteron und Östrogen, Follikel-Stimulierendes-Hormon, Luteinisierendes-Hormon, Adreno-Carticotropes-Hormon, Oxytocin, Vasopressin, Prolaktin, Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin, um nur einige zu nennen. Sie alle – wenn mir diese Metapher gestattet sei – spielen ein sehr wichtiges Instrument in einem großen und komplexen Orchester, was sehr anfällig ist gegen Störungen. Nur wenn jedes auch in der richtigen Tonlage spielt und zum richtigen Zeitpunkt, klingt das Gesamtwerk erst harmonisch. Wenn aber ein Instrument fehlt oder in einer falschen Lautstärke spielt oder zum falschen Zeitpunkt, klingt das Ganze unschön. Und wie die Theorie von der Komplexität uns warnt, kann das Drehen an der Stellschraube einer Variablen, die mit vielen anderen untereinander verbunden ist und sich gegenseitig beeinflussen, unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen. Denn hier fungiert oftmals eine Variable als Modulator einer anderen.
Dazu empfehle ich die Lektüre eines Buches mit dem Titel Kastration und Verhalten beim Hund von Sophie Strodtbeck und Udo Gansloßer.
Nun bin ich trotzdem kein Endokrinologe geworden; aber ein weiterer Anlass für das Schreiben dieses Beitrages ist, dass ich durch meine Praxis und den dabei gemachten Beobachtungen eine Erkenntnis der Wissenschaft auf jeden Fall belegen kann: Nämlich das offensichtliche Zusammenspiel der beiden Hormone Testosteron und Cortisol. Beide sind quasi Gegenspieler und halten sich gegenseitig in Schach. Will heißen, damit des einen Wirkung nicht übertreibt, dämpft der andere das Ganze.
Zwei Beispiele aus meiner Praxis:
Hunde, die bereits in den ersten Lebenswochen traumatisierende Erlebnisse über sich ergehen lassen müssen und dadurch ein ausgeprägtes Angstverhalten entwickeln, neigen dazu, über den Hypothalamus initiiert, in den Nebennieren zu viel Cortisol zu produzieren, wodurch sie in eine Art Dauerstress geraten. Diese Hunde benötigen für das Bewältigen ihres Alltags zwingend das Hormon Testosteron, das dem Ganzen entgegenwirkt und ihnen sozusagen Mut macht. Beraubt man sie durch eine Kastration dieses Mittels, führt das zum Worstcase. Auffallend ist dieser Teufelskreis bei den vielen Profit bringenden Hunden aus Osteuropa, die dort bereits prophylaktisch kastriert werden. Diese Hunde, so sie noch ein einigermaßen stressfreies Leben genießen sollen, müssen zwingend von ihrer Eigenverantwortung befreit werden – will heißen, sie müssen erzogen werden. Sie als Beschützer agieren zu lassen, wäre für sie fatal.
Gleiches gilt für Hunde, die zu Leinen-, Futter- oder Revieraggressionen neigen oder unter Trennungsangst bzw. Kontrollverlust leiden. Ihr temporär hoher Cortisolspiegel bedarf zwingend der lindernden Wirkung der Sexualhormone. Beraubt man auch sie dieses Beruhigungsmittels, werden sie erst recht zum Problemfall. Auch sie müssen stattdessen zwingend von ihrer Verantwortung zur Befriedigung ihres Grundbedürfnisses nach Sicherheit entbunden werden.
Bleibt die berechtigte Frage nach einer Lösung:
Gibt es eine Alternative zur Kastration?
Antwort: Ja, selbstverständlich, und zwar wie zuvor erwähnt – die Erziehung!
Ich sehe die Lösung für ausnahmslos alle störenden Verhaltensweisen eines Hundes, so sie nicht in einer medizinisch klinischen Indikation oder in einem neuropathologischen Befund begründet sind, in seiner Erziehung. Will heißen, ihn von seiner Verantwortung zu entbinden und seinen Entscheidungsspielraum einzuschränken. Das bedeutet natürlich auch, dass nur gesunde Hunde mit einer guten Historie für Wach- und Schutzaufgaben oder Such- und Rettungsdienste oder andere Spezialaufgaben wie beispielsweise die des Behindertenbegleithundes eingesetzt werden sollten.
Außerdem hat die Erziehung des Hundes für alle Beteiligten noch einen sehr angenehmen Nebeneffekt, also nicht nur für das gestresste Tier. Alle genießen ein völlig entspanntes Nebeneinander.
Und dazu bedarf es keiner Entnahme von Organen.
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