oder
Was hat das mit dem Handy am Steuer zu tun?
Ab und zu ein Plausch mit einem Fachfremden, der mit der Hundeerziehung eigentlich gar nichts am Hut hat, aber auf seinem Fachgebiet wiederum ein Experte ist, eröffnet einem selbst immer wieder neue Horizonte und hilft eigene Sachverhalte und Zusammenhänge, die einem selbst oftmals unerklärlich erscheinen, besser zu verstehen. So auch in diesem Fall, als ich mich wieder mal mit jemandem unterhielt, der sich in der Welt der Kognitionswissenschaften zu Hause fühlt.
Ich erzählte demjenigen nämlich, wie häufig es mir passiert, dass KundInnen mich mit der für mich zwar schmeichelhaften aber trotzdem unangenehmen Frage konfrontieren, warum denn in so vielen Hundeschulen immer noch offenbar falsche und damit erfolglose Trainingsmethoden zur Erziehung verhaltensauffälliger Hunde angewendet werden, obwohl es doch offensichtlich eine erfolgreiche Methode gebe, wie man bei mir sehe. Meistens stellen die KundInnen mir diese Frage – mehr oder weniger ratlos und geschürt durch ein gehöriges Maß an Unverständnis – weil wir zuvor ihren „Rabauken“ in nur einer einzigen Trainingseinheit von seinen „Verhaltensauffälligkeiten“ wie Aggressionen, Zerren oder Kläffen o.ä. befreit haben; sie aber zuvor regelrechte Odysseen an erfolglosen Hundeschulbesuchen hinter sich bringen mussten. Und das Ganze natürlich nicht ohne einen entsprechenden finanziellen Aufwand; im Gegenteil.
Aber wie gesagt, einerseits schmeichelhaft aber andererseits unangenehm, denn man zwingt mich mit meiner Antwort quasi zu einer Gratwanderung zwischen Diskreditierung und Diplomatie. Denn es ist mir bewusst und eigentlich überflüssig erwähnt zu werden – wozu mir auch ein Marketingexperte einmal dringend geraten hatte – sich niemals auf Kosten eines Wettbewerbers profilieren zu wollen; denn damit diskreditiere ich nur mich selbst. So weit, so schön. Aber andererseits erwarten meine KundInnen eine aufrichtige Antwort; denn ihre Frage ist in der Regel nicht rhetorischer Natur oder lediglich gedacht, ihren Frust loszuwerden. Sie erwarten tatsächlich eine Erklärung, warum, wenn der Lösungsweg, wie man sieht, bekannt zu sein scheint, all die HundeexpertInnen selbigen aber offenbar nicht beschreiten. Und es sei umso unverständlicher, da doch anzunehmen sei, dass sie alle eine Ausbildung absolviert haben; zumindest würden sie damit werben. Zitat: „Wird denn so etwas während der Ausbildung zum Hundetrainer nicht gelehrt?“
Wenn die KundInnen mir dann noch die Methoden beschreiben, mit denen an ihren „Rabauken“ herumgedoktert wurde, bleibt mir, offen gesagt, eigentlich nichts anderes übrig, als ihnen reinen Wein einzuschenken. Aber nichtsdestotrotz sage ich es dann doch lieber nur durch die Blume: „Der Schlüssel zum Erfolg liegt für einen Hundetrainer darin, zu erkennen, ob es sich bei der „Verhaltensauffälligkeit“ des Hundes um ein Ausbildungs- oder um ein Erziehungsproblem handelt.“ Oder anders ausgedrückt: Der Hundetrainer müsse erkennen, ob er ein durch Konditionierung oder ein durch Sozialisierung zu behebendes „Problem“ vor sich habe. Wenn er bereits hier eine Fehleinschätzung treffe, könne er mit der Wahl der Methode nur danebenliegen. Und der Erfolg bliebe aus.
Manchmal geben sich die KundInnen mit dieser etwas ausweichenden Antwort zufrieden, weil sie aus dem Umkehrschluss selbst herleiten können, dass es offensichtlich mit dem Schlüsselfinden nicht geklappt hat. Aber manchmal auch nicht und haken nochmal nach, warum offensichtlich dieser Unterschied durch viele Hundeschulen nicht beachtet werde.
Dazu kann ich natürlich nur Vermutungen anstellen oder spekulieren. Ich habe mich zwar ausführlich zu diesem Thema bereits in meinem letzten Buch im Kapitel „Die Expertise eines Luftfahrtexperten oder warum hat es alternatives Wissen so schwer?“ geäußert; trotzdem möchte ich noch einmal einen anderen Experten, nämlich meinen gerade erwähnten Gesprächspartner, zu Worte kommen lassen.
Er erzählte mir eine Parallele aus seiner Welt. Und zwar ging es um das Telefonieren am Steuer. Es sei nämlich bereits seit geraumer Zeit, unter anderem durch die Neurowissenschaften, widerlegt, dass das Telefonieren am Steuer nur mit dem Handy am Ohr gefährlich sei. Trotzdem bleibe aber nach wie vor nur dieser Umstand strafbar; das Sprechen mit Hilfe einer Freisprecheinrichtung dagegen nicht. Und obwohl wissenschaftlich fundiert das Falsche an dieser Regel belegt sei, tut man sich hier offensichtlich auch schwer, diese Erkenntnis anzuerkennen geschweige denn anzuwenden.
Zum besseren Verständnis erläuterte er mir dann noch den Zusammenhang: Und zwar sei es deshalb unerheblich, ob man sich das Handy ans Ohr hält oder über die Freisprecheinrichtung mit seinem Gesprächspartner kommuniziere, weil der kognitive Effekt in beiden Situationen identisch und somit gleich gefährlich sei. Denn das Gefahrenmoment ergebe sich nicht aus dem Halten des Handys ans Ohr, sondern aus den kognitiven Abläufen und ihren Konsequenzen während eines Telefonats an sich. Gedanklich versetze sich ein Telefonierender nämlich immer an den imaginären Ort des Gesprächspartners, wodurch sein Bewusstsein und seine selektive Aufmerksamkeit weit weg seien vom Hier und Jetzt. Und da das menschliche Gehirn zum Multitasking (sich simultan auf mehrere Dinge konzentrieren) unfähig sei – auch wenn es so scheinen mag, dass Frauen das Gegenteil beweisen können – sei das Hier und Jetzt während des Telefonierens nicht mit Aufmerksamkeit belegt. Zwar könne das Gehirn über das Unterbewusstsein mehrere und auch komplexe motorische Handlungen simultan steuern, ohne das Bewusstsein in Anspruch nehmen zu müssen. Aber eine selektive Aufmerksamkeit, die wie ein Scheinwerfer funktioniert, kann es nur auf eine Sache richten. Um alles andere müsse sich dann das Unterbewusstsein mit seinen Routinen kümmern. Das Autofahren finde dann quasi im Autopilotenmodus statt. Verschärfend hinzu komme noch, dass der Mensch sich, ohne es zu wollen, moralisch unter Druck setze, beim Gesprächspartner nur nicht den falschen Eindruck zu hinterlassen, man höre nicht zu, falls die Verkehrssituation die Aufmerksamkeit verlange und das Antworten sich dadurch eventuell verzögere. Der ungewollte Effekt sei, dass man sich dadurch noch mehr auf das Gespräch konzentriere und sich und seine Aufmerksamkeit erst recht forthole aus der hiesigen Situation.
Das könne jeder an sich selbst überprüfen, indem er beispielsweise nur einmal versuche, sich nach einem Telefonat daran zu erinnern, was in den letzten Minuten um sich herum passiert sei. Man werde mit Sicherheit keine Details wiedergeben können. Und die Gefahr aus dieser Bewusstseinsabwesenheit ergebe sich aus dem notwendigen Zeitaufwand, der durch das Gehirn benötigt werde, um in einer Gefahrensituationen, die eine sofortige Reaktion erfordere, ausreichend schnell die Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt zurückzuholen. Da vergingen schon mal locker mehrere Hundert Millisekunden, die für eine notwendige Reaktion fehlen und über Leben und Tod entscheiden könnten.
Bleibt die Frage nach der Ursache des Festhaltens an der alten aber falschen Regel; ähnlich wie in unserem Kontext das Festhalten an falschen Erziehungsmethoden des Hundes, obwohl die richtige oder bessere bekannt sei.
Hierzu gebe es durchaus Erkenntnisse und somit Begründungen durch die Kognitionswissenschaften, so der Experte. Eine Erklärung könnte sich beispielsweise aus der Tatsache herleiten, dass das menschliche Gehirn stets bemüht sei, die hoch komplexe Welt zu simplifizieren und die Wahrnehmungen in einfache Erkenntnisse umzuwandeln, um in dieser unüberschaubaren Welt entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben. Dabei bevorzuge das Gehirn Erkenntnisse, die keine Widersprüche zu bisherigen Erfahrungen und keine unangenehmen Konsequenzen zur Folge hätten. Je einfacher, widerspruchsloser und angenehmer eine Erkenntnis oder Theorie sei, umso bessere Aussichten hätten sie, „erfolgreich“ zu sein. Der Wissenschaftler spreche dann von einer eleganten Theorie oder These. Hinzu komme, dass eine Theorie umso hartnäckiger überlebe, je mehr sie von anderen Theorien oder Erkenntnissen gestützt werde, selbst wenn es eindeutige Gegensignale gebe. Das heiße, je mehr sie zu einem anderen Kontext oder zur eigenen Erlebnis- und Bedürfniswelt passe, um so robuster sei sie gegenüber Gegensignalen. Und eine weit unterschätzte Macht haben dabei Gefühle, die die eigene Seelenwelt im Gleichklang halten.
Und so könnte man sich auch erklären, warum viele HundetrainerInnen sich derart schwertun, sich von falschen, aber eben angenehm anfühlenden Theorien zu befreien. Eine dieser offensichtlich angenehmen und sich hartnäckig haltenden Theorien ist die Annahme, man könne einen Hund, der die Verantwortung für seine eigene und die Sicherheit von Frauchen besitzt, mittels Konditionierung durch Belohnung erziehen und von seinem Zerren an der Leine und Aggressionen gegenüber jedermann befreien; ergo, ihn von seiner Verantwortung entbinden.
Warum?
Eine solche Theorie klingt halt schön und passt perfekt in den momentanen Zeitgeist, der sich vor allem durch falsch verstandene Tierliebe speist, die seit geraumer Zeit geradezu eine Hochkonjunktur genießt. Sicherlich gestützt durch Berichte über grausam anzuschauende Tierversuche der Pharmaindustrie, Massentierhaltung und rumänische Tierheime. Hinzu kommt, dass der Begriff Erziehung ohnehin schon negativ belegt ist und ungewollt Vorstellungen assoziiert wie Zwang und Gewalt. Da klingt es halt in den Ohren des Tierfreundes – aber wie man sieht, bedauerlicherweise auch in denen der vermeintlichen Fachleute – viel verlockender, wenn behauptet wird, es gäbe angeblich behutsamere Methoden, einen aggressiven Hund zur Räson zu bringen, als die der konsequenten Korrektur und Demonstration. Solche Methodenbezeichnungen wie „Erziehung durch positive Bestärkung“, „durch Belohnung und Anerkennung erziehen“ oder „Kommunikation auf Augenhöhe“, „Erziehung mittels Ankereffektes, „Beziehung statt Erziehung“ oder ähnlich gearteter Unfug, verbrämt unter dem Deckmantel der angeblich „modernen und neuen“ Methoden; so etwas hört jeder Mensch natürlich viel lieber und passt perfekter in die heile Seelenwelt des tierliebenden Menschen als Vokabularien wie Reglementierung, Bestrafung und Korrektur. Geschickt werden dabei auch Vokabularien genutzt wie „sanft“, „gewaltfrei“ und „gefühlvoll“. Es sieht auch auf Bildern geradezu rührend und vertrauenserweckend aus, wenn der Trainer statt einer energischen Korrektur des unerwünschten Verhaltens, dem „Rabauken“ ein Leckerli vor das Schnäuzchen hält oder sich mit einem Lächeln im Gesicht vor ihm hinkniet und sich ein Pfötchen geben lässt. Das Ganze ist aber nichts anderes als Dressur und das Resultat der Perversion des Anthropomorphisierens (Vermenschlichung) der Kreatur Hund, die in der hochindustrialisierten und teilweile gefühlskalten westlichen Welt zunehmend in die Rolle eines sozialen Ersatzpartners gedrängt wird.
Es gibt eine schöne metaphorische Darstellung dieser Entwicklung auf zwei Bildern: Auf dem ersten Bild ist ein Wolf zu sehen, dem eine Sprechblase ins Maul gezeichnet ist mit den Worten: „Ich gehe mal rüber zu den Menschen, was soll schon passieren?“ Und auf dem zweiten Bild sieht man einen Mops, dem ein selbst gestricktes Mützchen mit Kerzen obenauf und buntem Schleifchen aufgesetzt wurde, und der wahrscheinlich noch ein Höschen mit Plüschbesatz am Hintern trägt. Darunter steht geschrieben: 100 000 Jahre später.
Die Erziehung des Hundes gelingt nur und ausschließlich über den Weg seiner Entbindung von der Verantwortung für seine oder anderer Leute Sicherheit oder einer Ressource mit gleichzeitiger energischer Einschränkung seines Entscheidungsspielraumes; jedoch niemals mittels einer Konditionierung, und sei die Gürteltasche mit Leckerlis noch so groß. Einen 60-Kilogramm-Rottweiler, der ein kleines Kind attackiert hat, kann man nie und nimmer mittels einer positiven Bestärkung (was übrigens korrekterweise Verstärkung lauten müsste, wenn man schon Fachvokabular der Lernpsychologie verwendet) oder Belohnung von seinen Aggressionen befreien. Dieser Hund muss stattdessen von seiner Verantwortung entbunden und konsequent korrigiert werden – und zwar “unsanft”.
Aber so lange bei der Ausbildung von HundetrainerInnen offensichtlich, oder wie zu vermuten ist, der Anthropomorphismus alle Vernunft vernebelt und in jeden Hund ein Kleinkind hineininterpretiert wird, so lange werden Hunde sicherlich gut ausgebildet und ihnen alle möglichen Tricks beigebracht; aber ein gefährlich aggressiver Vertreter der Spezies Canis lupus familiaris mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von diesen TrainerInnen weder erzogen noch sozialisiert.
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